Umbruch in unruhigen Zeiten So rüstet der Norden Deutschlands auf

Einst zivil genutzt, werden große Firmen im Norden sukzessive zu militärischen Rüstungskonzernen. Eine Übersicht, wo und wie der Norden aufrüstet.
Der Norden Deutschlands erlebt derzeit einen Umbau als militärische Aufrüstungszone, wie es ihn seit Jahrzehnten nicht gab. Aus idyllischen Wäldern und traditionsreichen Hafenstandorten werden Zentren einer neuen Rüstungsstrategie. Hamburg, Bremen und die Region rund um Braunschweig rüstet auf – und das mit Hochdruck.
Großfabrik im Wald: Unterlüß als Startsignal
Im südlichen Niedersachsen, unweit von Braunschweig, reckt sich ein ehrgeiziges Projekt in die Höhe: das neue Munitionswerk von Rheinmetall in Unterlüß. In einem Gebiet, das bislang eher für Ruhe, Wald und Weite stand, entsteht nun Europas größte Munitionsfabrik. Für rund 500 Millionen Euro will Rheinmetall in den kommenden Jahren eine Kapazität bis zu 350.000 155-mm-Granaten jährlich erreichen.
Der Standort liegt direkt neben einem großen Versuchs- und Testgelände, das bereits seit Jahren zum Unternehmen gehört. 3.200 Menschen sind heute schon dort beschäftigt, weitere 500 sollen folgen. Für die Region ist das Projekt eine willkommene wirtschaftliche Perspektive – für die deutsche Verteidigungspolitik und für Rheinmetall selbst ist Unterlüß ein Schlüsselstein eines neuen europäischen Rüstungssystems. Eine ausführliche Analyse zum Thema finden Sie hier.
Vom Schiffbau zum Marinekonzern: Rheinmetall plant um
Die zweite Front der Aufrüstung liegt an der Küste. Rheinmetall steht kurz vor dem Einstieg in das Marinegeschäft: Die Marinesparte der Bremer Lürssen-Gruppe, NVL (Naval Vessels Lürssen), wird übernommen – vorausgesetzt die Formalitäten werden abschließend geklärt. Dabei gehören zum Paket die Peene-Werft (Wolgast), Blohm+Voss (Hamburg), Norderwerft (Hamburg) und die Neue Jadewerft (Wilhelmshaven) – mit rund 2.100 Beschäftigten insgesamt.
Rheinmetall plant, von einer Umsatzbasis von etwa einer Milliarde auf rund fünf Milliarden Euro in fünf Jahren zu wachsen. Gleichzeitig betont der Konzern, dass es nicht um Kürzungen, sondern um Ausbau gehe.
Trotz der geplanten Übernahme tüfteln die Ingenieure bei NVL an der Kriegsausrüstung der Zukunft. Zwei Vorhaben stehen dabei derzeit im Fokus: Zum einen arbeitet NVL am Projekt "ISR as a Service", welches Überwachungsschiffe mit Sensorik und Analyseprogrammen ausstattet, etwa für Küstenschutzpatrouillen oder das Verteidigen von Offshore-Infrastruktur.
In Kooperation mit der britischen Kraken Technology Group will NVL ab Ende 2025 zudem Drohnenboote produzieren – unter anderem am Standort Hamburg (Blohm+Voss). Die maritime Rüstung bekommt dadurch eine völlig neue Dimension.
Der Ernstfall in der Stadt: Rüstung trifft Alltag
Was, wenn Deutschland tatsächlich angegriffen würde und sich verteidigen müsste? Die Bundeswehr demonstrierte, wie konkret diese Entwicklung ist: In Hamburg simulierte sie über drei Tage einen Sprengstoffanschlag auf eine Korvette im Hafen – inklusive Rettung, Spürhunde, Exfiltration von Verwundeten und dem Zusammenspiel mit Feuerwehren und zivilen Akteuren.
Unter dem Decknamen "Red Storm Bravo" zeigte sich: Häfen und Werften sind längst Teil militärischer Szenarien, nicht mehr isolierte Produktionsstätten. Mehr dazu erfahren Sie hier.
Im Vorfeld der Großübung sprach der Kapitän zur See und Kommandeur des Landeskommandos der Bundeswehr in Hamburg, Kurt Leonards, mit t-online und hat ausführlich dargelegt, wie realistisch ein solches Szenario ist. Das ganze Interview finden Sie hier.
Tradition trifft Transformation: Blohm+Voss im Umbruch
Die traditionsreiche Hamburger Werft Blohm+Voss wird zum Flaggschiff der Rüstungssparte. Rheinmetall plant, die Werft auszubauen und in seine maritime Strategie zu integrieren. Der Deal soll bis 2026 abgeschlossen werden – sofern die Kartellbehörden zustimmen.
- Rüstungshochburg Bremen: Diese Militär-Geräte kommen aus der Stadt
Für Hamburg wäre das eine spektakuläre Aufwertung: von zivilem Luxus-Schiffbau hin zu staatlich dringlichem Marinesupport. Armin Papperger, Chef von Rheinmetall, spricht von Potenzial, nicht von Kahlschlag – aber klar ist: Der Standort wird sich verändern.
Der Norden als Rüstungsregion: Macht und Risiken
Viele Einzelfälle, ein Trend: Der Norden Deutschlands wird zur Achse der Aufrüstung. Werften, Hafeninfrastruktur, Produktionskapazitäten – alle werden Teil einer militärischen Architektur. Unternehmen wie Thyssenkrupp Marine Systems, Hensoldt oder mittelständische Maschinen- und Elektronikbetriebe könnten mit eingebunden werden.
Der Verteidigungsetat wächst stark, das Sondervermögen öffnet Türen zu bisher ungeahnten Investitionen. Zugleich entsteht eine Abhängigkeit: Orte, die von Rüstungsprojekten leben, werden auch strategisch angreifbar – politisch, gesellschaftlich und infrastrukturell.
- Bisherige Berichterstattung zum Thema bei t-online


