"Tatort" aus Kiel Axel Milberg: "Sympathie für den Täter ist mir fremd"
An diesem Sonntag läuft der neue "Tatort" aus Kiel: "Borowski und der gute Mensch". Im Interview sprechen Axel Milberg und Almila Bagriacik über ihre Rollen als Kommissare, Corona-Regeln am Set und die Zusammenarbeit mit Lars Eidinger.
An diesem Sonntag wird der neue Kieler "Tatort" gesendet. In "Borowski und der gute Mensch" bricht Gaststar Lars Eidinger als psychisch kranker Killer aus dem Gefängnis aus – und wird in Freiheit von Verehrerinnen umschwärmt.
Axel Milberg und Almila Bagriacik versuchen den Mörder als "Tatort"-Kommissare Borowski und Sahin einzufangen, bevor er zu viele von ihnen umgebracht hat. Im Interview sprechen die beiden über Kiel als Drehort, die Faszination am Verbrechen und darüber, was die Zusammenarbeit mit Eidinger so besonders macht.
t-online: Kiel erscheint im neuen "Tatort" dieses Mal besonders düster. Ist das auch Ihr Eindruck der Stadt?
Milberg: Nein, überhaupt nicht. Ich finde sie hell und poliert – und windig. Ich habe hier in den letzten Jahren, wenn ich beim Drehen war, viele schöne Sommertage erlebt, wenn ich oben auf der Terrasse vom Maritim meinen Kaffee trinken oder unten an der Bellevue-Brücke sitzen konnte.
Bagriacik: Der Kieler "Tatort" steht in der Tradition des Nordic Noir. Wenn ich in Kiel bin – vor allem im Sommer –, bin ich immer total begeistert. Ich finde es hier megaschön und beruhigend. Und ich liebe die Kiellinie. Da sitze ich oft am Hafen und gehe die Drehbücher noch mal durch. Axel und ich witzeln oft rum: Er schlägt mir immer vor, mir eine Ferienwohnung in Kiel zu besorgen.
"Borowski und der gute Mensch" ist nicht nur besonders düster, sondern auch besonders brutal. Ist das die Richtung, in die sich der Kieler "Tatort" weiterentwickeln wird?
Bagriacik: Ich denke, das ist dem speziellen Fall um Kai Korthals geschuldet: eine wiederkehrende Rolle, die diese düstere Seite mitprägt, die der Kieler "Tatort" ohnehin schon hat.
Milberg: Dieser Fall ist heftig, das stimmt. Aber die Drehbücher sind immer sehr unterschiedlich. Oft kommen Zuschauer auf mich zu und sagen: "Herr Milberg, der Kieler 'Tatort' ist ja ein bisschen so wie eine Wundertüte. Man weiß nie, was drinsteckt." Und das ist gut so, weil wir eben sehr unterschiedliche Autoren und Regisseure haben, die auch die Figur Borowski unterschiedlich bewerten.
Die Folge thematisiert Hybristophilie. Es geht also Menschen, die sich zu Kriminellen hingezogen fühlen – in diesem Fall zu Gaststar Lars Eidinger als psychisch krankem Killer. Können Sie diese Faszination nachempfinden?
Milberg: Nein, das kann ich nicht. Ich bin ein sehr empathischer Mensch. Ich sehe die Opfer und ihre Todesangst und die Qual der Überlebenden. Das ist mir so präsent vor Augen, dass die Sympathie für den Täter und seine narzisstische Persönlichkeit mir vollkommen fremd ist.
Bagriacik: Ich persönlich kann es nicht nachempfinden. Als Schauspielerin kann ich allerdings verstehen, dass man sich für solche Rollen interessiert, weil man da im Spiel so viel anbieten und sich in die Rolle hineinfallen lassen kann. Ich mag es, Rollen darzustellen, die einen großen Kontrast zu mir selbst ergeben, sodass man wirklich etwas abliefern kann, was man so im Privatleben nicht erleben würde.
Lars Eidinger spielt ja sehr oft extreme und befremdliche Rollen. Er selbst ist also gar nicht so?
Milberg: Überhaupt nicht, im Gegenteil, er ist sehr ruhig und sachlich. Wir haben ja beide Theatererfahrung. Da spricht man schnell die gleiche Sprache. Er ist ein angenehmer Partner, der keine Scheuklappen hat – im Gegensatz zu seiner Figur im "Tatort". Eine der Stärken von Lars Eidinger ist, dass alles eine Rolle spielt: das Requisit, der Raum, der Partner, das Drehbuch, das Licht. Er ist extrem offen. Und er ist ein freundlicher Mensch.
Bagriacik: Das Schöne an der Zusammenarbeit mit Lars ist auch, dass es sehr impulsiv läuft und wir uns im Rahmen des Drehbuchs frei bewegen. Dass wir aufeinander eingehen und kein Take dem anderen gleicht, wodurch extrem authentische Momente entstehen können.
Herr Milberg, Sie spielen den Borowski seit 14 Jahren. Gibt es da noch immer Neues am Charakter zu entdecken?
Milberg: So sehe ich nicht auf eine Figur – und übrigens auch auf keinen Menschen. Kein Mensch ist auserzählt. Es ist für mich unvorstellbar, so zu denken. Jeder Film, den wir unter der schimmernden Überschrift "Tatort" machen, ist ja doch ein Einzelstück. Es sind ja meist neue Autoren und Autorinnen, Regisseure, Regisseurinnen, die einen ganz eigenen Blick auf die Figuren haben, eine eigene Erzählweise.
Es kommt mir nicht vor wie eine lange Zeit, weil wir uns nicht wiederholen. Gut, ich fahre seit so und so vielen Jahren das gleiche Auto, aber damit hat sichs auch schon. Der Cordanzug, ja schön. Das soll auch nicht heißen, die Figur ist beliebig, aber sie ist leichter und heller geworden im Gegensatz zum Anfang, wo die Redaktion sie als einen soziophoben Einzelgänger entworfen hatte, der mit anderen nicht zurechtkommt, der grob ist und hölzern und jähzornig.
Frau Bagriacik, spielen Sie lieber wiederkehrende Seriencharaktere oder einmalige Filmrollen?
Bagriacik: Ich würde gar nicht sagen, dass ich das eine bevorzuge, da ich weniger am Gerüst als an der Rolle interessiert bin und inwieweit sie mich herausfordert, neue Dinge zu erlernen. Bei einer Serie hast du natürlich die Möglichkeit, immer tiefer in die Rolle zu gehen. Und man verändert sich ja auch. Bei "4 Blocks" zum Beispiel haben wir drei Staffeln über drei Jahre gedreht. Die Figur Amara macht eine große Entwicklung durch, ähnlich groß wie ich als Schauspielerin in dieser Zeit. Und das ist total spannend: wenn man sieht, wie Menschen in Serien wachsen.
Inwieweit haben die Regeln rund um Corona die Arbeit am Set verändert?
Milberg: Nicht so dramatisch. Zum einen sind alle froh, dass sie arbeiten können. Zum anderen nervts ein bisschen, zwölf Stunden einen Mundschutz zu tragen. Ich bedaure manchmal, dass ich die Gesichter der Teamkollegen nicht sehe. Aber das ist ja alles Luxus. Im Grunde geht es uns gut, und es wird mehr gedreht denn je.
Bagriacik: Ich sage mal so: Der Mensch gewöhnt sich an einiges. Natürlich gibt es Veränderungen, aber die nimmt man für die Sicherheit in Kauf. Die Vorsichtsmaßnahmen nehmen sehr viel Zeit ein, und das Testen durch die Nase ist natürlich jedes Mal ein bisschen unangenehm. Aber es ist einfach megaschön, dass wir einen Beruf haben, bei dem so viele Menschen zusammenkommen. Und das finde ich tausendmal besser, als zu Hause im Homeoffice zu sitzen. Wenn ich das doch mal machen muss, merke ich, dass mir mein Team fehlt, mit dem ich gemeinsam an etwas arbeite, an einem Strang ziehe. Ich bin einfach ein Gruppenmensch, ein Rudeltier, ich brauche Menschen um mich rum.
Im neuen Kieler "Tatort" gibt es zwar viele Tote, aber kein Corona. Warum die Entscheidung gegen diesen Teil der Realität?
Milberg: Der Film wird ja nicht unbedingt zur Corona-Zeit ausgestrahlt. Man würde auch ausschließen, dass der Film irgendwann wiederholt werden kann. Ich würde mir keinen Film anschauen, in dem die Gesichter unkenntlich sind – weil die Mimik des Schauspielers nun mal das Zentrale ist.
Haben Sie eine Lieblingsfolge des Kieler-"Tatort"?
Milberg: Es gibt einige, abgesehen von diesem natürlich, die ich sogar mehrmals gesehen habe, wie "Borowski und der Engel" mit Lavinia Wilson. Sie spielt eine Krankenpflegerin, die am Anfang einen Patienten in seiner Wohnung sterben lässt. Dann nimmt sie dessen Katze in einer Tasche mit und lässt sie an einer belebten Straßenkreuzung frei, es kommt zu einem folgenschweren Unfall. Das ist fantastisch. Die Geschichte ist toll, tolle Kollegen und wunderbare Kamera von Benedict Neuenfels.
Bagriacik: Das ist jetzt so erwartet, aber es ist tatsächliche die aktuelle: "Borowski und der gute Mensch". Die Zusammenarbeit mit unserem Regisseur Ilker Çatak war außergewöhnlich. Ich hab sehr viel dabei gelernt. Und unsere Kamerafrau Judith Kaufmann! Mit ihr durfte ich schon öfter drehen, auch meine allererste Rolle in "Die Fremde". Deswegen finde ich diesen "Tatort" ganz besonders. Und der Cast ist wirklich atemberaubend. Ich werde wirklich mit Stolz meinen Freuden Bescheid sagen, dass sie ihn gucken sollen. Da freue ich mich schon drauf!
Vielen Dank für das Gespräch!
- Interview mit Axel Milberg und Almila Bagriacik