Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Alleinerziehende berichtet 107 Euro für eine Tankfüllung – "Ich bin darauf angewiesen"
Die internationalen Sanktionen gegen Russland und der Krieg in der Ukraine lassen die Kraftstoffpreise explodieren. Wie hart trifft die Entwicklung Autofahrer? Wir haben an einer Tankstelle in Hamburg nachgefragt.
Die Preise für Benzin und Diesel an den Zapfsäulen steigen angesichts der Eskalation in Osteuropa rasant. In Hamburg hat t-online mit Menschen gesprochen, die nicht ohne ihr Auto auskommen können.
Einen Monat hatte Juliane R. schon nicht mehr tanken müssen. Nicht, weil sie das Auto nicht braucht – die alleinerziehende Mutter meidet "sämtliche Fahrten, wann immer es geht". Was die 28-Jährige am Donnerstag an einer Tankstelle in Eimsbüttel erlebt, ist ein richtiger Preisschock.
Spritpreise auf Rekordhoch: Mutter zahlt 107 Euro für Tankfüllung
"Ich hab gerade für 107 Euro vollgetankt." Sie schaut auf ihren weißen Seat Ibiza und sagt: "Dabei habe ich nun wirklich kein High-end-Auto." Literpreise von 2,20 Euro oder mehr für Benzin sind dieser Tage die Regel.
Juliane R. lebt in Geesthacht, südöstlich von Hamburg, wo ihr Arbeitsplatz ist. Die Beamtin ist in Elternzeit, ihr Kind grade vier Monate alt. Dadurch habe sie noch weniger Geld zur Verfügung. "Die Leute denken, Beamte verdienen immer Unsummen. Das stimmt aber nicht. Außerdem bekomme ich deswegen kaum staatliche Unterstützung."
Supermarkt, Arztbesuche, schlechter ÖPNV: Mutter ist auf ihr Auto angewiesen
Ihr Wohnort sei schlecht an den ÖPNV angebunden, der nächste Supermarkt zu Fuß mehr als eine halbe Stunde entfernt, sie muss mit ihrem Kleinkind zu Ärzten. "Ohne Auto geht es einfach nicht. Ich bin darauf angewiesen."
In Hamburg leben auch ihre Eltern. "Die wollen ihr Enkelkind natürlich sehen." Obwohl beide nicht gerne im Auto unterwegs sind, fahren sie nun immer häufiger zu ihrer Tochter raus, damit sie Sprit sparen kann. "Außerdem unterstützen sie mich auch ganz direkt finanziell." Ob sich das die Eltern leisten können? "Geht so, aber sie machen es eben."
Wegen teurer Spritpreise: 28-Jährige verzichtet auf vieles
Streamingdienste hat Juliane R. keine, geht nicht mehr mit Freunden aus und leistet sich auch sonst nur das Notwendigste. "Ich versuche auch beim Einkaufen zu sparen, wo es geht. Aber günstige Windeln oder Babynahrung sind in vielen Supermärkten oft ausverkauft", berichtet die Mutter frustriert. Der nächstgelegene Supermarkt ist ein Rewe. "Da muss ich schon stark auf Preise und Angebote schauen."
An einer anderen Tankstelle steht Thomas Zanger und wäscht sein Auto. "Natürlich schränkt mich das ein", sagt der 62-jährige Rentner. "Was Ausflüge an die See oder Urlaube angeht, da überlege ich schon zweimal." Zanger macht sich auch Sorgen um die Gastronomen und Touristiker: "Die haben zwei bittere Jahre hinter sich und jetzt können die Leute sich nichts mehr leisten, weil das Benzin so teuer ist", sagt er.
Noch komme er durch, sagt Zanger, aber ab 2,50 Euro pro Liter würde es auch für ihn "richtig schmerzhaft". Seine erste Konsequenz: Statt mehrmals die Woche fährt er nur noch einmal in der Woche zum Großeinkauf.
Lieferant: Ich mache jeden Tag einen Draufleger beim Tanken
Dritte Tankstelle: Yasser Ktish ist Fahrer eines Lieferdienstes und im Stress. Der nächste Auftrag ist sechs Kilometer weg. "So lange Strecken sind gerade richtig hart." 30 Cent bekommt er von seinem Arbeitgeber je gefahrenen Kilometer – etwa 20 Euro sind das durchschnittlich pro Tag. "Ich muss aber jeden Tag für 30 Euro tanken." Wie er langfristig diesen Draufleger finanzieren soll, weiß er nicht. Mit Politik kenne er sich nicht aus, "aber es ist zu teuer".
Etwas entspannter angesichts der hohen Spritpreise ist die selbstständige Kosmetikerin Daniela (38). "Ich muss durch die ganze Stadt, um in mein Studio zu kommen", sagt sie. Mit Bus oder Bahn zu fahren sei keine Option, egal wie hoch die Preise für Benzin sind. "Vorher schlafe ich an der Arbeit. Die Öffis nerven mich nur und brauchen viel zu lange."
Vor einer Woche noch habe sie für 30 Cent weniger pro Liter getankt, jetzt tue es richtig weh. "Aber was soll ich machen? Ist doch völlig egal, ich bin nur ein kleines Korn im Wind." Das Wichtigste sei, dass der Krieg aufhöre und "die Ukraine und Putin sich einigen". Nur so lasse sich der aufgeheizte Kraftstoffmarkt beruhigen.
- Eigene Recherchen vor Ort