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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hamburgs beliebtester Männerchor Goldkehlchen im Stadtpark: "Wer nicht mitsingt, fliegt raus"
"70 Männer und keiner kann singen." Die "Hamburger Goldkehlchen" machen ihrem Motto alle Ehren – und trumpfen gleich mit mehreren Stargästen im Stadtpark auf.
Zum zweiten Mal ist die Freilichtbühne im Stadtpark an diesem Wochenende ausverkauft. Die Hamburger Goldkehlchen haben wieder zum traditionellen Sommerkonzert eingeladen – ein Männerchor, dessen Alleinstellungsmerkmale weniger die richtigen Töne als vielmehr Charme, Coolness und Spaß an der Musik ist.
Schon bevor das Konzert startet, ist aus dem Backstage Grölen und lautes "Ho, ho, ho" zu hören. Es klingt eher nach einem Fußballverein als nach einem Chor. Singen sich da die Hamburger Goldkehlchen ein?
Der Abend war in 90 Sekunden ausverkauft
Ob dann 70, 75 oder doch eher 80 Sänger auf der Bühne stehen, wissen die Moderatoren des Abends Flemming Pinck und Max Michel wohl selbst nicht genau. Die Zahlenangaben über die Mitgliederanzahl sind nicht eindeutig. In der Chor-Whatsapp-Gruppe sind wohl rund 100 Mitglieder, munkelt man. Letztlich auch egal. Hauptsache alle Sänger stehen heute Abend in ihrer Stimmgruppe und das Publikum macht mit.
"Ihr seid die schnellsten zehn Prozent", eröffnet Flemming den Abend, "ihr habt in 90 Sekunden den Abend ausverkauft. Das hat uns den Atem geraubt." Auf die Schmeichelei des Publikums, folgt gleich die Spielregel des Abends: "Wer nicht mitsingt, fliegt raus!", ruft Flemming in die Menge.
Der Stadtpark wird zur XXL-Karaoke-Bühne
Kein Problem für das Publikum. Zuvor hatte sich das Publikum schon mit "Sweet Caroline" (Neil Diamond) eingesungen, da war der Chor noch gar nicht auf der Bühne. Für die Zuschauer ist es schließlich Pflicht und Ehre zugleich, die Refrains wie "If you wanna be my lover" (Spice Girls) oder "Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe" (Die Ärzte) mitzugrölen.So wie in der Thai Oase, der berühmten Karaoke-Bar auf der Großen Freiheit, wo die Idee der "Goldkehlchen" 2016 entstand.
Für das dreistündige Programm haben die Goldkehlchen gleich mehrere Stargäste mitgebracht. Zu Beginn tritt Sänger Bosse mit dem Lied " Ein Traum" auf.
Die Liste der Stargäste ist lang: Bosse, Apache 207, Die Prinzen...
Als Flemming Bosse anmoderieren will, scheint das dem Popmusiker überflüssig und stimmt vorschnell sein Lied an. Vielleicht liegt ihm auch die Zeit im Nacken. Schließlich feiert seine Tochter am gleichen Tag ihren 18. Geburtstag.
Später überraschen Apache 207, Sebastian Krumbiegel (Die Prinzen) und auch Ingo Zamperoni (Tagesthemen) mit Überraschungs-Acts.Spätestens als sich die Goldkehlchen Verstärkung von ihren "Vorbildern" im Seniorenalter, so beschreibt sie Flemming, auf die Bühne holen, ist das Publikum nicht mehr zu stoppen.
30 Silberlocken in orthopädischen Schuhen und orangen Hoodies – die hätten sie sich extra drucken lassen, "weil sie cool sind", wirft Flemming ein – mischen sich unter die weißen Sneakers und Oversize-Shirts der Goldkehlchen. Der "Oldie-Chor" namens "Heaven Can Wait" setzt sich aus 75- bis 94-jährigen Hobby-Sängern zusammen.
Rentner-Chor sammelt mehr Symphatiepunkte als Bosse ein
Am Anfang ist die Stimme noch leicht zittrig, als der Solist im Rentneralter das Mikrofon fest umklammert und "gern hab ich die Frauen geküsst" (aus "Paganini") ansingt: "Gern hab′ ich die Frau'n geküsst, Hab′ nie gefragt, ob es gestattet ist; Dachte mir: nimm sie dir, Küss sie nur, dazu sind sie ja hier!"
Darauf wechselten die Chöre mal eben das Genre und antworteten: "Lass die Finger von ihr, Emanuela" von Fettes Brot. Schon jetzt haben die Rentner es geschafft, beim Publikum mehr Sympathiepunkte als Bosse einzusammeln.
Dieser Sprung in der Musikgeschichte kommt beim Publikum gut an. Ohne, dass der Humor zu kurz kommt, gleicht der Act einem Dialog zwischen den Generationen und ohne, es direkt anzusprechen, werden aktuelle Themen wie "Me too" aufgegriffen.
"Es ist egal, ob wir auf der Bühne oder im Publikum stehen"
Doch was macht so einen Männerchor aus, der sich das Grölen und Schunkeln zum Alleinstellungsmerkmal gemacht hat? Nachfrage bei den Kollegen aus Köln, die am Freitagabend mit auf der Bühne standen. Die Kölner Grüngürtelrosen gründeten sich 2019 nach dem Vorbild der Hamburger Goldkehlchen.
"Singen ist einfach Therapie!", erklärt Jonathan (47) – Fünf-Tage-Bart, dunkle Sonnenbrille -, der im Kölner Chor mitsingt. Letztlich sei es ganz egal, ob man der Bühne oder im Publikum stehe. "Es geht gar nicht darum, gut zu singen", gibt Jonathan zu, "es geht darum, alle zum Mitsingen zu bringen."
Fazit: Es muss nicht immer alles perfekt sein, damit es gut ist.
Tatsächlich geht es beim Konzert der Goldkehlchen gar nicht darum, dass sie alle Töne korrekt treffen. Die Stimmen sind ganz offensichtlich schon vom Singen am Vorabend belastet. Einstimmig ist es vor allem dann, wenn sie Forte, also aus voller Kraft, und langgezogene Vokale "ahhh" und "uuuh" singen dürfen. Weniger gut klappen die schnelleren und hohen Passagen, auch oder gerade weil dann die Kopfstimmen ausgereizt werden. Es sei ihnen verziehen.
Eines kann man von den Goldkehlchen lernen: Es muss nicht immer alles perfekt sein, um die Herzen der Fans zu gewinnen. Und wenn man doch die Töne richtig treffen muss, lädt man professionelle Sänger ein. Wird schon klappen!
- Reporterin vor Ort
- Anfrage an die Goldkehlchen (unbeantwortet)
- hamburg-singt.de: "Alle Infos"
- bild.de: "70 Sänger und keiner ist ein Goldkehlchen"
- instagram.de: "Goldkehlchen"