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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Akten zu Senator Grote verschwunden? t-online-Recherchen belasten Hamburger Justiz schwer
Der VIP-Karten-Skandal um Hamburgs Innensenator weitet sich aus. Belastende Dokumente scheinen spurlos verschwunden zu sein.
Die Besprechung in der Staatsanwaltschaft Hamburg findet am 9. Juli 2019 statt, einem Dienstag. Fünf Staatsanwälte, darunter Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich, treffen sich in einem großen Büro der Behörde. Die Stimmung ist angespannt, denn es geht um einen brisanten Fall. Prominente Amtsträger sind in den Fokus von Ermittlungen geraten.
Das ist auch für die erfahrenen Staatsanwälte keine alltägliche Angelegenheit. Sie diskutieren, ob eine Hausdurchsuchung beim Innensenator Andy Grote, dem Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer und dem ehemaligen Wirtschaftssenator Frank Horch stattfinden soll. Es steht viel auf dem Spiel: das Ansehen der drei Männer, aber auch das der Unabhängigkeit der Justiz. Am Ende greift der Generalstaatsanwalt durch. Er verhindert die Durchsuchungen.
Die Besprechung an jenem Dienstag ist offenbar das entscheidende Treffen in einem Skandal, der auch drei Jahre später noch die Hamburger Politik und Justiz erschüttert. Es geht um geschenkte Fußballtickets im Wert von teilweise mehr als 1.700 Euro, den Vorwurf der Vorteilsnahme und, seitdem dieser Vorwurf bekannt wurde, um Forderungen nach parlamentarischer Aufklärung und dem Rücktritt des Innensenators. Und inzwischen geht es wegen des Eingreifens des Generalstaatsanwaltes bei jenem Treffen auch um ein Disziplinarverfahren gegen diesen.
Doch ausgerechnet von dem so wichtigen Treffen fehlen offenbar entscheidende Unterlagen. Zumindest scheint die zuständige Behörde diese nicht zu finden oder sie liegen ihr nicht mehr vor. Es ist sogar zu befürchten, dass sie verschwunden sind. Darauf deuten Recherchen von t-online.
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Steuerprüfer finden erste Hinweise
Der Skandal begann im Oktober 2018. Damals fiel der Finanzbehörde der Hansestadt bei einer Steuerprüfung auf, dass die drei Amtsträger der Stadt Karten vom FC St. Pauli erhalten hatten. Es waren Karten im Wert zwischen 400 und 1.700 Euro. Die Korruptionsabteilung der Finanzbehörde sah laut einem internen Vermerk einen Anfangsverdacht wegen Vorteilsnahme gegen Grote, Meyer und Horch und informierte aufgrund der Brisanz den Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich.
Um Beweismittel zu sichern, wollten einige der Staatsanwälte Durchsuchungen bei den drei durchführen – in deren Dienst- aber auch Privaträumen. Im Juli folgte daher das Treffen der Staatsanwälte, um die Voraussetzungen für eine solche Durchsuchung und das Vorgehen zu besprechen. Jenes Treffen, bei dem Generalstaatsanwalt Fröhlich die Pläne für eine Durchsuchung schließlich stoppte.
Die offizielle Begründung dafür: Es habe kein Anfangsverdacht festgestellt werden können. So lautete zumindest die Antwort des Hamburger Senats auf eine parlamentarische Anfrage der CDU, die diese stellte, nachdem im August 2019 die Vorwürfe gegen die drei Amtsträger bekannt geworden waren.
t-online deckt Ticket-Affäre auf
Doch ganz so eindeutig war es wohl nicht. Mehrere Staatsanwälte drangen in der Besprechung im Juli nach Informationen von t-online darauf, die Räume der drei Amtsträger zu durchsuchen, um einen "Prominentenbonus" auszuschließen. Doch der Generalstaatsanwalt blieb hart. Er sprach sogar davon, dass man einen "politischen Tsunami" wenige Monate vor der Bürgerschaftswahl verhindern müsse.
So geht es aus dem Vermerk eines Teilnehmers des Gesprächs hervor, der t-online vorliegt. Der hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Richard Seelmaecker von der CDU sieht darin einen Skandal: "Senatoren und Bezirksamtsleiter, denen Hausdurchsuchungen erspart werden, weil es Auswirkungen auf eine Wahl haben könnte und gegen die am Ende Strafverfahren wegen Vorteilsnahme, wegen Geringfügigkeit eingestellt werden, erschüttern das Vertrauen in unseren Rechtsstaat."
Und in diesem Vermerk steht auch, dass ein "AR-Vorgang" angelegt werde, also eine Akte mit den schon vorhandenen Dokumenten wie dem Entwurf des Durchsuchungsantrags, dem Gesprächsvermerk und weiteren Unterlagen – ein sogenannter Vorprüfungsvorgang. Auch eine Nummer dieses Prüfvorgangs wird darin genannt.
Prüfvorgang abhandengekommen?
Der Senat selbst sprach 2019 in der Antwort an die CDU-Abgeordneten von einem Vorprüfungsvorgang. Wörtlich: "Es ist ein sogenannter Vorprüfungsvorgang angelegt worden, um für den Fall, dass weitere Erkenntnisse hinzukommen, eine Neubewertung vornehmen zu können." Dieser Vorprüfungsvorgang, in der Behörde AR-Vorgang genannt, ist jetzt aber bei der Staatsanwaltschaft offenbar abhandengekommen.
Staatsanwaltschaft kennt Vorgangsnummer offenbar nicht
Nach Informationen von t-online werden die Dokumente behördenintern gesucht. Zumindest erweckt die Staatsanwaltschaft diesen Eindruck. In einer E-Mail der Behörde an t-online fragt eine Sprecherin, ob die Nummer des AR-Vorgangs ihr mitgeteilt werden könnte. Dieser Bitte kommt t-online nicht nach, sondern stellt Gegenfragen: Kennt die Staatsanwaltschaft selbst die Nummer etwa nicht? Wo ist die Akte? Wurde sie vernichtet? Und falls ja: von wem? Auf diese Fragen antwortete die Staatsanwaltschaft bislang nicht. Stattdessen erfuhr t-online, dass die Staatsanwaltschaft mittlerweile wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen ermittelt.
Das alles ist entscheidend, denn mittlerweile läuft seit knapp zwei Wochen ein Disziplinarverfahren gegen den Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich. Er hatte selbst darum gebeten, damit seine Reputation wiederhergestellt werden könne. Der Vorwurf der politisch motivierten Einflussnahme lastet schwer auf dem Chefermittler. Doch derzeit sieht es eher so aus, als kommen weitere belastende Details ans Licht.
Die Staatsanwaltschaft teilte zur Frage, ob Ermittlungen gegen Fröhlich laufen, mit, dass "zum Stichtag 19. Oktober 2022 eine Strafanzeige weder bei der Polizei noch bei der Staatsanwaltschaft vorlag und von Amts wegen weder Ermittlungen noch Vorermittlungen eingeleitet wurden."
Richtlinie beinhaltet keine "Repräsentationspflichten"
Beim Treffen der Staatsanwälte argumentierte der Generalstaatsanwalt damals im Juli 2019, Würdenträger der Stadt hätten sicher aus "Repräsentationsgründen" die Fußball-Tickets angenommen, um die Stadt beim FC St. Pauli öffentlich zu vertreten. So werde es "in Niedersachsen gehandhabt", soll Fröhlich laut dem Vermerk gesagt haben. Doch er hätte es besser wissen können. Denn in Hamburg galt zu diesem Zeitpunkt keine Repräsentationspflicht für entsprechende Amtsträger, jedenfalls war sie in der damals geltenden behördeninternen Richtlinie von 2001 nicht enthalten.
- Transparenzhinweis: In einer vorherigen Version des Artikels hieß es, dass die Staatsanwaltschaft und auch Herr Fröhlich keine Antwort auf die Frage geben wollte, ob Ermittlungen gegen den Generalstaatsanwalt liefen. Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft geantwortet und festgehalten, dass zum Stichtag 19. Oktober keine Ermittlungen gegen Fröhlich laufen. Der Text wurde ergänzt.
- Eigene Quellen (Entwurf des Durchsuchungsantrages, Gesprächsvermerke)