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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kita-Demo in Hamburg "Ihr könnt nicht mehr, wir – die Familien – können auch nicht mehr"
Im Urlaub, krank oder bei einer Fortbildung: Aus verschiedenen Gründen fehlt es in Hamburger Kitas an Personal. Das muss sich ändern, fordert Verdi.
Gegen den Personalmangel demonstrieren in Hamburg am Dienstagabend knapp 2.000 Eltern, Kinder, Erzieherinnen und Erzieher. Während die Sonne untergeht, versammeln sie sich auf dem Platz zwischen dem Bahnhof Dammtor und dem Congress Center Hamburg. Einige Kleinkinder rennen freudig mit Verdi-Flaggen über den Platz, andere haben Laternen dabei.
"Schon seit Langem mahnen wir, dass wir einen Fachkräftemangel haben", berichtet Claudia Albrecht, Erzieherin und Mitglied der Fachkommission Kita. Die Politik müsse gegensteuern und der Beruf attraktiver werden, fordert sie. "Es hilft uns nicht, dass Kollegen und Kolleginnen auf dem Papier vorhanden, in Wirklichkeit aber krank, im Urlaub, auf Fortbildung oder wegen Schwangerschaft freigestellt sind", kritisiert Albrecht.
In Hamburg fehlen im kommenden Jahr voraussichtlich bis zu 3.700 Kitaplätze. Das geht aus dem Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme der Bertelsmann Stiftung hervor. Zwar habe es in Hamburg in den vergangenen Jahren einen Ausbau der Kapazitäten und des Personals gegeben, doch das sei bei Weitem nicht ausreichend, kritisiert Verdi.
Um die Nachfrage nach Kitaplätzen zu decken, müssten nach Rechnung der Bertelsmann Stiftung zusätzlich zum vorhandenen Personal weitere 1.000 Fachkräfte eingestellt werden. Wolle man den empfohlenen Personalschlüssel von 1 zu 3 erreichen, müssten in Hamburg laut der Stiftung sogar 6.200 Fachkräfte zusätzlich beschäftigt werden. Aktuell betreut in Krippengruppen ein Erzieher beziehungsweise eine Erzieherin 4,1 Kinder. "Das fehlende Personal ist bittere Realität für die Beschäftigten, die Kinder und die Eltern", erklärt Michael Stock von Verdi Hamburg. Mehrfach betonen Rednerinnen und Redner, dass die Beschäftigten der Hamburger Kitas am Belastungslimit seien.
Erzieher schreiben Brief an den Hamburger Senat
"Ihr könnt nicht mehr, wir – die Familien – können auch nicht mehr", richtet sich eine Rednerin des Landeselternausschusses an die Demonstrierenden. Von dem fehlenden Personal sind auch die Beschäftigten in der ganztägigen Bildung und Betreuung an Schulen (GBS) betroffen. "Wir haben einen SOS-Brief verfasst, den wir an die Behörde und den Senat übergeben wollten, um auf die prekäre Situation für Kinder, Eltern und Pädagogen und Pädagoginnen aus GBS und Kita aufmerksam zu machen", erläutert eine weitere Rednerin aus dem Betriebsrat der Elbkinder. Aus Behörde und Senat habe sich niemand bereit erklärt, die Unterschriften entgegenzunehmen. "Aber, liebe Behörde, lieber Senat: Seid euch gewiss, ihr habt uns jetzt provoziert!"
Zum Protest aufgerufen haben neben den Gewerkschaften auch Eltern und Organisationen wie der Landeselternausschuss, die Kindertagesbetreuung Hamburg, das Kita-Netzwerk Hamburg und die Kita-Trägerverbände SOAL. Vom Bahnhof Dammtor zieht der Demonstrationszug vorbei am Hauptbahnhof über die Mönckebergstraße zum Jungfernstieg. Auf Plakaten und Transparenten liest man: "Wir brennen für unsere Kinder. Wir wollen aber nicht ausbrennen" oder "Erziehung und Bildung sind keine Ware". Der Spruch "Kita: Come in and burn out", steht gleich auf mehreren Plakaten. Die Demonstrantinnen und Demonstranten halten weiße Silhouetten für das fehlende Personal hoch und rufen "Hoch, hoch, hoch mit den Löhnen".
Erzieher: "Kinder sind unsere Zukunft"
"Auch wenn die Sozialbehörde es nicht anerkennen will: Es gibt einen Fachkräftemangel", berichtet eine Erzieherin am Jungfernstieg. "Wir brauchen definitiv mehr Kolleginnen und Kollegen in den Kitas, den GBS-Standorten und mehr Therapeuten", macht sie deutlich. "Wir fordern von der Politik Gelder für genügend Personal", betont Claudia Albrecht. Verdi fordert zudem, die Gruppengrößen und die Personalschlüssel auf die Agenda zu setzen. Es wird wohl nicht die letzte Demo zum Personalmangel in den Kitas gewesen sein, befürchten die Demonstrierenden.
"Die Kinder sind unsere Zukunft und müssen gut behandelt werden", führt Albrecht fort. Das Gleiche würde für die Menschen gelten, die mit Kindern arbeiten. Busse und Bahnen würden in ein paar Jahren autonom fahren, die Steuererklärung würde dann von künstlicher Intelligenz gemacht werden, prognostiziert Sarah Stüber von Kindermitte, einem Verband freier Kitaträger. "Eine Sache wird sich auch dann nicht ändern: dass Kinder Menschen brauchen."
- taz: "Ver.di-Referent über Probleme in Kitas: 'Es ist einfach zu wenig Personal'"
- Verdi Hamburg: Pressemitteilung vom 26. Oktober
- Bertelsmannstiftung: Pressemitteilung vom 20. Oktober
- Reporter vor Ort