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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Amoklauf bei Zeugen Jehovas Durchsuchung rechtswidrig – Niederlage für Staatsanwaltschaft
Nach dem Amoklauf bei den Zeugen Jehovas in Hamburg ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen Mitglieder des Waffen-Prüfungsausschusses. Die Durchsuchung bei einem der Beschuldigten war rechtswidrig – entschied jetzt das Landgericht.
Die Polizei hat nach dem Amoklauf bei den Zeugen Jehovas in Hamburg offenbar vorschnell gehandelt: Die Behörden hatten eine Durchsuchung bei einem Mann durchgeführt, der daran beteiligt war, dass der achtfache Mörder eine waffenrechtliche Erlaubnis erlangen konnte. Nun zeigt ein Beschluss des Landgerichts, der t-online exklusiv vorliegt, dass die Durchsuchung rechtswidrig war.
Dem Mann, Murat B., wurde vorgeworfen, als einer von drei Prüfern eine Urkunde gefälscht zu haben, durch die der spätere Amokläufer Philipp F. eine Waffe legal besitzen durfte. Bei der Amoktat tötete Philipp F. acht Menschen: zwei Frauen und vier Männer im Alter von 33 bis 60 Jahren, ein ungeborenes Kind sowie sich selbst.
Die Ermittlungsbehörden wollten mit der Durchsuchung bei B. feststellen, welche Rolle er bei der waffenrechtlichen Sachkundeprüfung von Philipp F. genau gespielt hatte. In dem 13-seitigen Beschluss des Landgerichts in Hamburg heißt, dass die Durchsuchung bei Murat B. rechtswidrig sei, weil "zum Zeitpunkt ihres Erlasses der erforderliche Anfangsverdacht einer Straftat nicht vorlag".
Im Video oben oder hier spricht eine Aussteigerin der Zeugen Jehovas über die Gefahren und ihre Erlebnisse in der Sekte.
Staatsanwaltschaft sah Schuld bei Prüfern
Das ist eine Niederlage für die Staatsanwaltschaft, die schon kurz nach der Amoktat eine Mitverantwortung bei den Mitgliedern des Prüfungsausschusses gesucht hatte. Philipp F. war lange Zeit selbst Mitglied bei den Zeugen Jehovas und hatte nach seinem Austritt angefangen, eine waffenrechtliche Erlaubnis zu beantragen. Dafür muss man in Deutschland unter anderem die "waffenrechtliche Sachkunde" erlangen.
Drei Prüfer, zu denen auch Murat B. gehörte, hatten diese Sachkunde bestätigt. Die Theorieprüfung hatte Philipp F. beim ersten Versuch bestanden, für den praktischen Teil benötigte F. eine Nachprüfung. Die Urkunde, die ihm nach Bestehen ausgestellt wurde, trug aber nicht das Datum der zweiten, sondern der ersten Prüfung – weshalb die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Falschbeurkundung ermittelte.
Falsches Datum – mehr nicht
Das Gericht bemängelt in seiner Entscheidung zwar, dass ein falsches Datum in der Urkunde eingetragen sei. Aber: "Der dem Beschuldigten mit dem Durchsuchungsbeschluss vorgeworfene Sachverhalt lässt sich jedoch unter keinem Gesichtspunkt unter einen Straftatbestand" zusammenfassen, schreibt das Gericht. Eine solche Falschbeurkundung liege also nicht vor.
Hamburger Behörden unter Druck
Die Behörden in Hamburg stehen auch wegen anderer Fehler rund um die Aufarbeitung des Amoklaufes unter Druck. Es gab nämlich schon mehrere Wochen vor der Tat Hinweise auf psychische Probleme des späteren Täters. Bei einer daraus resultierenden Kontrolle bei Philipp F. konnten auch Verstöße gegen das Waffenrecht festgestellt werden. So war Munition nicht richtig im Tresor verstaut. Außerdem hatte Philipp F. ein Manifest auf seine Webseite gestellt, in dem er sich selbst als Hobby-Ermittler bezeichnete.
Zudem bot er auf seiner Webseite gegen ein Tageshonorar von stolzen 250.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer seine Dienstleistungen als Berater an. In erster Linie religiösen und rechtlichen Service, mit dem er seinen Kunden einen Erfolg von mindestens 2,5 Millionen Euro versprach für den Kampf gegen die satanistischen Kräfte dieser Welt.
Tatwaffe legal
Trotzdem entzog ihm die Hamburger Waffenbehörde nicht die Zuverlässigkeit und F. durfte seine Waffen behalten. Am Ende tötete er die acht Menschen mit einer Heckler & Koch P30L, die er zu diesem Zeitpunkt legal besitzen durfte.
- Beschluss des Landgerichtes vom 07.12.2023
- Eigene Recherchen