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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lost-Places-Ausstellung Einstige Pracht im Dornröschenschlaf

Das Archäologische Museum Harburg zeigt Fotografien von verlassenen Orten. Manche davon liegen direkt vor der Haustür.
Eine aufgegebene Fabrikhalle mit zerschlagenen Fensterscheiben in Harburg, ein vermoostes Mausoleum in Ohlsdorf oder eine nie in Betrieb genommene U-Bahnstation unter dem Hamburger Hauptbahnhof: Das sind nur drei von 150 großformatigen Fotografien, die derzeit im Archäologischen Museums Harburg (AMH) gezeigt werden. Die Ausstellung nennt sich "Lost Places – Archäologie der Gegenwart".
Die Motive ermöglichen einen Blick auf geheimnisvoll wirkende Orte, die irgendwie in Vergessenheit geraten sind. Es handelt sich um moderne Ruinen, die dem Verfall preisgegeben sind, wie stillgelegte Industrieanlagen, verlassene Kirchen, Atombunker aus dem Kalten Krieg oder leer stehende Villen, die von ihren Besitzern aufgegeben wurden und jetzt langsam verrotten.
Der Kurator des Archäologischen Museums Harburg, Michael Merkel, sagt: "Lost Place sind die archäologischen Befunde von morgen." Er fotografiert selbst seit den frühen 1980er-Jahren und fühlt sich von der eigenwilligen Ästhetik dieser Geisterstätten angezogen. "Spannend sind die Geschichten dahinter", findet Merkel. Jedes Foto rege die Fantasie an. Man frage sich unwillkürlich, wann und warum das Objekt aufgegeben wurde.
Lost Places übten schon immer ihre Faszination aus. Schon im 18. Jahrhundert besuchten Italienreisende die Überreste von Pompeji und Herculaneum. Auf dem Gemälde "Goethe in der Campagna" präsentiert sich der Dichter vor einer Ruine. Das erinnere an die heutigen Instagram-Bilder, auf denen Lost-Places-Fans vor morbiden Gemäuern posen, so Kurator Merkel.
Freizeit-Trend Urbexer
Das Fotografieren von sich selbst überlassenen Gebäuden ist schwer in Mode gekommen. "Urbexer" nennt man diejenigen, die dieser Freizeitbeschäftigung leidenschaftlich nachgehen. Das Wort setzt sich zusammen aus "Urban" und "Exploration", also "städtisch" und "Erkundung". Unter teilweise hohem Risiko stromern Großstädter mit der Kamera bewaffnet durch Ruinen und erkunden marode Altbauten. Für so manches Bild überwinden echte "Urbexer" Absperrungen und bewegen sich in verbotenen Zonen.
Um möglichen Klagen wegen Hausfriedensbruch vorzubeugen, sind deshalb nicht alle Bilder der Harburger Ausstellung mit einem Copyright versehen.
Dokumentationen aus Orten im Dornröschenschlaf
Die Fotos in dieser Ausstellung kommen von zehn verschiedenen Teams: Die Bandbreite reicht vom Dokumentarfoto mit natürlichem Licht über künstlich ausgeleuchtete Räume mit inszenierten Arrangements bis zu stark bearbeiteten Motiven. Viele Aufnahmen zeigen beispielsweise, was der Vandalismus in einigen Lost Places angerichtet hat, oder wie Sprayer dort ihre Kreativität ausgelebt haben. "Graffitis faszinieren mich als Archäologe besonders an Lost Places", sagt Sammlungsleiter Merkel. Junge Künstler finden in den verlassenen Orten ihre Freiräume, die sie für farbige Bildideen nutzen.
Die Ausstellung im AMH scheint einen Nerv der Zeit getroffen zu haben. Wegen der großen Nachfrage wurde sie bis zum 27. April verlängert und wird anschließend im Stadtmuseum Norderstedt gezeigt.
- Eigene Recherche