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Hamburg

„764“-Netzwerk: Wie ein Hamburger Kinder im Internet in den Tod trieb


Hamburger war Kopf von Terrorgruppe
Wie eine sadistische Masche Kinder bis in den Tod treibt


18.06.2025 - 18:42 UhrLesedauer: 4 Min.
Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Pressekonferenz: Ein 20-jähriger Hamburger soll ein führender Kopf des sadistischen Netzwerks "764" sein.Vergrößern des Bildes
Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Pressekonferenz: Ein 20-jähriger Hamburger soll ein führender Kopf des sadistischen Netzwerks "764" sein. (Quelle: Georg Wendt/dpa)
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Ein 20-jähriger Hamburger soll weltweit Kinder bis in den Tod getrieben haben. Die Ermittlungen führen tief in ein internationales Terrornetzwerk.

Die Vorwürfe, die Polizei und Staatsanwaltschaft einem 20-jährigen Hamburger machen, klingen verstörend und kaum fassbar. Es geht um Mord, versuchten Mord, Missbrauchdarstellungen, sexuellen Missbrauch, Rechtsextremismus, Nihilismus, Sadismus, Satanismus und internationale Cyberkriminalität. Er soll ein zentraler Akteur der Gruppierung "764" gewesen sein, die vom FBI als terroristisch eingestuft wurde. Mehr als 120 Taten werden dem Mann, der sich "White Tiger" nannte, zugeordnet. Im Fokus standen immer gezielt verletzliche Kinder und Jugendliche, die eigentlich nach Hilfe gesucht hatten.

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Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten acht geschädigte Kinder zwischen 11 und 15 Jahren. Zwei von ihnen kamen aus Hamburg, eines aus Niedersachsen. Der 20-jährige Deutsch-Iraner soll einen 13-Jährigen aus den USA dazu gebracht haben, sich das Leben zu nehmen. Eine 14-Jährige aus Kanada überlebte einen Suizidversuch. Andere Kinder lebten in Finnland, England und anderen Regionen in Deutschland. Die Taten passierten digital, auf Plattformen wie Instagram und Discord oder in diversen Internetforen.

Polizei verhaftet "White Tiger" im Elternhaus in Hamburg

In der Nacht zum 17. Juni vollstreckten die Ermittler der Soko "Mantacore" den Haftbefehl gegen "White Tiger" in Hamburg-Marienthal, wo er noch bei seinen Eltern lebte. Staatsanwältin Maileen Shargh und Staatsanwalt Nicolas Benz haben bei einer Pressekonferenz Einblicke in die Ermittlungen und in ein System gegeben, das auf psychologischer Zerstörung, sexualisierter Gewalt und einem perfiden Wettbewerb um extreme Darstellungen basiert.

Die mutmaßlichen Täter geben den Opfern jeweils gezielte Anweisungen zur Selbstverletzung – sogar vor laufender Kamera in Livestreams. "In einigen Fällen konnten wir feststellen, dass die Geschädigten bereits so stark manipuliert waren, dass eine einfache Aufforderung ausreichte, um sie zu weiteren Handlungen zu bewegen", sagte Shargh.

Polizei und Staatsanwaltschaft zeigen auch konkrete Fälle, in die "White Tiger" verwickelt sein soll. Auf einem Foto ist ein Mädchen zu sehen, das sich auf Anweisung mehrfach ins Bein geschnitten hat. Es sollte mit dem Blut ein Spielfeld für Tic-Tac-Toe auf ihrem Körper zeichnen und die Spielzüge setzen.

"764": Täter bauen enormen psychischen Druck auf Kinder auf

Auf einer anderen Aufnahme ist zu sehen, wie sich ein Mädchen auf Anweisung den Usernamen des 20-Jährigen in die eigene Haut geritzt hat. Dabei handelt es sich um sogenannte "Cut Signs" – Bilder oder Videos davon sammeln "White Tiger" und andere Täter als Trophäen. Zudem dienen sie als Vorlage für noch brutalere Taten an anderen Opfern.

"Es handelt sich um einen Überbietungswettbewerb", sagt Benz. Die Zuschauer der Livestreams fordern immer mehr, lachen über ihre Opfer, manipulieren sie, um sie zu immer brutaleren Verletzungen zu treiben. "Innerhalb der Gruppierung wird ein immenser psychischer Druck aufgebaut, ein Netzwerk der Angst", sagt Benz. Einen Ausweg finden die Kinder und Jugendlichen selten. Und: Die Täter manipulieren sie oft so, dass sie selbst neue Opfer suchen.

So funktioniert das System hinter der Gruppierung "764"

Die Kinder und Jugendlichen werden gezielt auf Plattformen wie Discord, Telegram, Instagram und Snapchat, in Spielen wie "Roblox" und "Minecraft", aber auch in bestimmten Foren für Hilfe suchende oder suizidgefährdete Menschen angesprochen. "Die Täter beginnen meist mit einem unverfänglichen Gespräch, Aufmerksamkeit und Komplimenten, erschleichen sich Vertrauen und täuschen ersehnte Freundschaft oder Liebe vor", erklärt Benz. Das soll Vertrauen aufbauen und eine emotionale Abhängigkeit schaffen. Wer bereits psychisch instabil ist, lässt sich dann umso leichter gezielt manipulieren und zu Handlungen drängen.

Eine Masche ist es, die Opfer zu Nacktfotos zu drängen, mit denen diese erpresst werden können – der Fachbegriff dafür lautet "Sextortion". Das Thema Suizid rücken die Täter ganz bewusst in den Mittelpunkt. Sie konfrontieren die Kinder teils über Wochen und Monate hinweg in stundenlangen Chats oder Livestreams damit, um sie psychisch zu zermürben und gefügig zu machen.

"764"-Gründer zu 80 Jahren Gefängnis verurteilt

Die Ermittler gehen davon aus, dass die Person hinter "White Tiger" einer der führenden Köpfe der Gruppierung "764" war oder ist – ob er seit Beginn der Ermittlungen im September 2023 noch weitere Straftaten begangen hat, ist unklar.

Gegründet wurde "764" 2021 durch den damals 15 Jahre alten Bradley Cadenhead, der mittlerweile in Texas zu 80 Jahren Haft verurteilt wurde. Der Name der Gruppe soll sich von Cadenheads Wohnort ableiten. Er soll laut einer Recherche der "Washington Post" 2021 die Schule abgebrochen haben, nachdem er selbst lange Mobbingopfer gewesen war. Ein Mitschüler beschrieb ihn als "leichtes Ziel".

FBI ermittelt gegen 250 "764"-Beteiligte

Auf seinen über die Plattform Discord organisierten Servern konnte Cadenhead dann nahezu ungehindert walten. Rasch versammelten sich dort Sadisten aus aller Welt mit ihrem brutalen und gewaltverherrlichenden Bild- und Videomaterial. Das FBI ermittelt derzeit gegen 250 Personen, die zum "764"-Umfeld gehören sollen.

Ende April wurden Leonidas Varagiannis (Username "War"), ein 21-jähriger US-Amerikaner mit Wohnsitz in Griechenland, und Prasan Nepal (20, "Trippy") aus North Carolina verhaftet. Auch ihnen beiden werfen die Behörden vor, führende Köpfe von "764" zu sein.

FBI: 764 ist "Netzwerk nihilistischer gewalttätiger Extremisten"

Konkret hieß es, die Gruppierung sei "ein Netzwerk nihilistischer gewalttätiger Extremisten". US-Justizministerin Pamela Bondi, sagte, die "764"-Beteiligten hätten "eines der abscheulichsten Online-Netzwerke zur Ausbeutung von Kindern ins Leben gerufen, das wir je gesehen haben – eines, das auf Terror, Missbrauch und der gezielten Ausbeutung von Kindern basiert."

"White Tiger", der Beschuldigte aus Hamburg, sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft. Er habe jeden Vorwurf gegen ihn pauschal zurückgewiesen, sagte Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich. Die Ermittlungen der Soko "Mantacore" laufen weiter.

Wenn Sie an Suizid denken oder sich um eine nahestehende Person sorgen, können Sie sich jederzeit an die Telefonseelsorge wenden. Die Beratung ist anonym, kostenfrei und rund um die Uhr erreichbar – unter 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222.

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