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"Immer wieder totgesagt": Die Geschichte der Roten Flora in Hamburg


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Über 30 Jahre besetzt
"Immer wieder totgesagt": Die Geschichte der Roten Flora


30.04.2022Lesedauer: 7 Min.
Ein Demonstrationszug vor der Roten Flora. Mehr als 11.000 Menschen beteiligen sich an dem Party-Protest gegen den G20-Gipfel.Vergrößern des Bildes
Ein Demonstrationszug vor der Roten Flora. Mehr als 11.000 Menschen beteiligen sich an dem Party-Protest gegen den G20-Gipfel. (Quelle: Jannis Große)

Die Rote Flora, die Hafenstraße und das Gängeviertel gehören genauso zum Hamburger Stadtbild wie die Elbphilharmonie oder der Michel. Dabei würde keiner der drei Orte heute ohne Hausbesetzungen existieren. Ein historischer Blick nach Hamburg.

Mitten auf dem Schulterblatt zeigt sich der Kontrast zwischen historischer Fassade und politischer Subkultur. Die rote Fassade des Gebäudes wird durch weiße Akzente und bunte Graffiti-Tags unterbrochen, auf dem großen Balkon wehen politische Transparente im Wind.

Das Gebäude, das heute über Deutschlands Grenzen hinaus als Zentrum der autonomen Szene bekannt ist, entstand ursprünglich Ende des 19. Jahrhunderts als Konzerthaus. Seit 1989 ist die Rote Flora besetzt und wird von der Radikalen Linken als Kulturzentrum genutzt.

Verfassungs- und Staatsschutz haben Rote Flora im Blick

Hier finden Konzerte, Vorträge und Partys statt. Regelmäßig treffen sich linke Gruppen zum Plenum und immer wieder ist die Flora Startpunkt oder Ziel von Demonstrationen. Der Verfassungsschutz ordnet die Rote Flora dabei dem Linksextremismus zu und beobachtet die Szene.

Auch der Staatsschutz hat die Rote Flora seit Jahren auf dem Schirm, wie die Enttarnung von Verdeckten Ermittlern (VE) im Jahr 2014 deutlich machte. Forderungen nach einer Räumung wurden zuletzt nach dem G20-Gipfel in Hamburg laut.

Wie wurde die Flora Symbol der linksautonomen Szene?

Seit der Entstehung 1889 diente die Flora als Theaterhaus, Kino und Konzerthaus. Im Gebäude gab es damals Gesellschaftsräume, verschiedene Säle sowie ein Café und ein Wintergarten. Das Gebäude überlebte zwei Weltkriege und zahlreiche Umbauten. 1964 übernahm dann die städtische Sprinkenhof AG das Gebäude und vermietete es an die Kaufhauskette "1.000 Töpfe".

In den 70er Jahren wurde das zweite Stockwerk abgerissen. 1987 zog die Kaufhauskette wieder aus und es entstanden Pläne, die Flora für das Musical "Das Phantom der Oper" zum Musical-Theater umzubauen. Dafür wurde ein Jahr später der größte Teil des historischen Floratheaters abgerissen – nur der Eingangsbereich blieb erhalten.

Investoren geben Projekt nach Prostesten auf

Mit der Befürchtung, dass der Umbau Mieten für Gewerbe und Wohnraum in der Sternschanze in die Höhe treiben würde, gab es daraufhin Proteste von Anwohnern, Gewerbetreibenden und autonomen Gruppen. "Wir haben zum Beispiel jede Woche eine VoKü [Volksküche Anm. d. Red.] vor der Baustelle gemacht, um unseren Protest auszudrücken", erzählt Andreas Blechschmidt, der bis heute in der Roten Flora aktiv ist.

Nach zahlreichen Aktionen, einer Platzbesetzung und militanten Anschlägen im Sommer 1988 gaben die Investoren ihr Vorhaben in der Sternschanze auf. "Danach gab es gemeinsame Plena", erinnert sich Blechschmidt. "Da war die Idee: Jetzt haben wir zu unserer eigenen Überraschung dieses Millionenprojekt verhindert, dann müssen wir auch weiter machen".

Weitere Proteste gegen Räumung

Nach einem weiteren Protestjahr bekam der neugegründete Flora e.V. im Sommer 1989 – 100 Jahre nach der Entstehung des Gebäudes – einen Zwischennutzungsvertrag der Stadt, um eine alternative Nutzung als Stadtteilzentrum öffentlich zu präsentieren. Nach Ablauf des sechs Wochen geltenden Vertrags wurde die Flora am 1. November als besetzt erklärt. Statt zu räumen versuchte die Stadt, den Konflikt zu befrieden.

In den Folgejahren wurden Teile der ehemaligen Florafläche bebaut und es entstand der heutige Florapark – immer verbunden mit Konflikten zwischen Szene und Stadt. 1992 entstand dann die heutige Rückwand der Roten Flora. Auf das Feuer im Jahr 1995 folgte der Wiederaufbau. Im Jahr 2000 versuchte der Hamburger Senat die Besetzung zu legalisieren und schickte einen Nutzungsvertrag, den die Flora mit einem Positionspapier ablehnte.

Interne Probleme belasten das Projekt

Die Rote Flora entwickelte sich zu einem bedeutenden Ort der Radikalen Linken. Dabei stehen auch hier – wie in fast allen Projekten linker Bewegungen – interne Konflikte auf der Tagesordnung. Es gibt inhaltliche Auseinandersetzungen wegen Alkohol, Sexismus und der politischen Linie.

Auch mit anderen Projekten wie der Besetzung in der Hafenstraße gab es Konflikte über politische Entscheidungen. Die Flora wurde zum Ausgangspunkt für zahlreiche Demonstrationen und Proteste, die nicht selten in Auseinandersetzungen mit der Polizei endeten. Sie stand somit über die Jahre im Fokus der Ermittlungsbehörden. Mehrfach wurde das Gebäude im Rahmen der Strafverfolgung durchsucht.

Der Rückhalt im Viertel und viele glückliche Zufälle sorgten dafür, dass es nie zu einer Räumung kam und die Flora nach 32 Jahren immer noch ein bedeutendes Symbol der Radikalen Linken ist. "Wir sind ja immer mal wieder totgesagt worden in der bürgerlichen Presse, aber wir sind auch heute ein wichtiger Ort für Vernetzung und Organisierung der linksradikalen Szene – zumindest für die Metropolregion Hamburg", so Andreas Blechschmidt. "Ich glaube, dass die Flora in den letzten 30 Jahren für viele eine wichtige Rolle in der politischen Entwicklung und Biographie gespielt hat."

Wie aus Straßenkampf Wohnraum entstand

Auch die Häuserfront in der St. Pauli Hafenstraße ist heute kaum wegzudenken, würde aber ohne Besetzungen nicht existieren. Der ursprüngliche Plan die Häuser abzureißen, scheitert am Engagement der Hausbesetzer.

Anfang der 80er Jahre standen die zwölf Häuser der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA leer. Autonome und Studierende besetzten die heruntergekommenen und sanierungsbedürftigen Häuser im Herbst 1981. Zuvor lebten in einem Teil der Gebäude Mieter über das Studierendenwerk. Erst ein halbes Jahr später bemerkte die SAGA die Besetzung, stellte Strafantrag und ließ die Häuser polizeilich räumen. Keine zwei Tage später waren die Häuser wieder besetzt.

Stürmungen, Durchsuchungen und Demonstrationen

Die Besetzer setzten die Häuser instand und wohnten darin. Wie heute ist auch damals der knappe Wohnraum eine Motivation, die Häuser zu retten. Es entstand eine Selbstverwaltung, die Punks, Alternative und Autonome anlockte. Über Jahre gab es Verhandlungsversuche zwischen Stadt und Besetzern.

Unzählige Male stürmte die Polizei Häuser, um mutmaßliche Straftaten aus dem Umfeld der Besetzung aufzuklären. Die Taten der Polizei hatten häufig militante Störaktionen zur Folge. 1986 versuchte die Polizei erneut die Häuser zu räumen, es kam zu Großdemonstrationen mit bis zu 12.000 Menschen in Hamburg. Im November 1987 erklärten beide Seiten die Verhandlungen für gescheitert. Als die Stadt erneut mit Räumung drohte, errichteten die Bewohner Barrikaden, bauten Stahltüren ein, verbarrikadierten Fenster.

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Hamburgs Erster Bürgermeister Klaus von Dohnanyi schuf in dieser Situation eine friedliche Lösung und ermöglichte nach einem 24-stündigen Ultimatum einen Pachtvertrag zur Nutzung der Häuser. 1995 kaufte die neue Genossenschaft "Alternativen am Elbufer" der Stadt die Häuser ab.

Flora als "geschützter rechtsfreier Raum"

Bis heute zeigen die bunten Wände in der Hafenstraße ihr politisches Erbe. Von den Landungsbrücken kann man in großen Buchstaben "Kein Mensch ist illegal" lesen, häufig flattern an Balkonen politische Transparente im Wind. Der Bereich rund um die Balduintreppe wird heute von der Polizei als Hotspot des Drogenhandels kriminalisiert, regelmäßig kommt es hier zu Kontrollen. Einige Räume in der Hafenstraße werden bis heute von politischen Gruppen für Plena und Vorträge genutzt.

"Freiraum bedeutet nicht, dass solche Orte frei von Widersprüchen und Konflikten sind. Aber trotzdem sind das eben Orte, wo man politisch und kulturell arbeiten kann", erklärt Andreas Blechschmidt. In der Flora kann der kurdische Verein eine Veranstaltung zur Haftsituation von Öcalan machen, bei uns kann Ende Gelände ein Blockadetraining machen – das ist in dem Sinne ein geschützter rechtsfreier Raum. Und die Flora ist hier Teil eines Netzwerks."

Auch legalisierte Freiräume wie das Gängeviertel und die Räume in der Hafenstraße sowie Treffpunkte wie das Libertäre Zentrum LIZ, das Internationale Zentrum B5, das LütjeLüüd oder die SKF spielen als Freiräume für eine antifaschistische Organisierung eine wichtige Rolle. "In Sachsen und Thüringen sind solche Orte auch ein wichtiger Schutzraum für alle, die nicht rechts sein wollen", so Blechschmidt.

Kultur in den Gängen

Das Gängeviertel ist heute ein kultureller Freiraum mit Werkstätten, Veranstaltungsräumen, Wohnraum und einer kollektiv betriebenen Bar. Wo man auch hinschaut begegnet einem hier Kunst: Die Wände sind bunt, auf dem Hof hängen Discokugeln und bunte Lampen. Auch das freie Radio FSK sowie mehrere Restaurants haben auf dem Gelände Platz gefunden. Regelmäßig finden hier Ausstellungen, Konzerte und Festivals statt. Vom Dach des Gängeviertels wird bei linken Demonstrationen immer mal wieder Pyrotechnik gezündet.

Ursprünglich erstreckte sich das Gängeviertel vom Hamburger Hafen über die Neustadt bis in die Innenstadt und bietet Tausenden Arbeiterfamilien ein Zuhause. Namensgebend sind die engen Gänge des historischen Gebäudekomplexes. Nach der Choleraepidemie Ende des 19. Jahrhunderts wurden große Teile im Rahmen von Sanierungen abgerissen und mussten Neubauten weichen. Weitere Überreste wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Übrig blieb ein kleiner Teil zwischen Caffamacherreihe, Valentinskamp und Speckstraße. Jahrelang verfielen die Gebäude, die bisherigen Mieter wurden im Jahr 2008 gekündigt. Im darauffolgenden Jahr sollten nach Plänen des niederländischen Investors bei Sanierungs- und Abrissarbeiten rund 80 Prozent der historischen Substanz verschwinden. 200 Künstler verhinderten das Vorhaben, indem sie das Gelände besetzten. Wenige Monate später kaufte die Stadt das Gelände zurück. Dieses bekam durch die Initiative "Komm in die Gänge" mit einem Nutzungs- und Sanierungskonzept ein neues Leben.

Chance für Freiraum durch Besetzungen ist gering

Dass aus Flora, Hafenstraße und Gängeviertel Projekte entstehen konnten, die bis heute lebendig sind, hat auch viel mit den passenden Gegebenheiten zu tun. "Die Flora ist so oder so ein Unikum, selbst unter 80er Jahre-Bedingungen", erklärt Andreas Blechschmidt. "Man konnte sich damals mit einer Besetzung einen Raum erkämpfen, musste aber an irgendeinem Punkt eine Form von Legalisierung organisieren, die möglichst viel von dem politischen Charakter behält."

Unzählige Hausbesetzungen wurden geräumt, viele Projekte scheiterten oder wurden im Laufe der Zeit verdrängt. Nicht zuletzt politische Konzepte sollen den Erfolg von Besetzungen verhindern. So auch das Konzept Besetzungen innerhalb von 24 Stunden zu räumen, das es an zahlreichen Orten gab und gibt. Ob eine Hausbesetzung strafrechtliche Konsequenzen hat, hängt vom Eigentümer ab. Hausfriedensbruch ist ein Antragsdelikt.

Dennoch gibt es auch heute Aktivisten, die versuchen mit Hausbesetzungen etwas zu bewirken, meist bleibt es bei symbolischen Aktionen. Die Chancen, dass heute aus Besetzungen ein Freiraum entstehen kann, hält Andreas Blechschmidt für gering. "Aber ich hoffe, dass auch Hausbesetzungen in Zukunft wieder eine Möglichkeit sein können, Leerstand zu beleben und daraus bezahlbaren Wohnraum zu machen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Andreas Blechschmidt
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