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Hamburg: "Pulverfass"-Gründer gestorben – Familienvater wurde Kiez-Legende


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"Pulverfass"-Gründer gestorben
Wie aus einem Familienvater eine Kiez-Legende wurde


Aktualisiert am 18.06.2024Lesedauer: 5 Min.
Ein Foto von Heinz-Diego Leers in jungen Jahren: Er wird auch nach seinem Tod für viele unvergessen bleiben.Vergrößern des Bildes
Ein Foto von Heinz-Diego Leers in jungen Jahren: Er wird nicht nur für die Hinterbliebenen unvergessen bleiben. (Quelle: Margit Heims)

Heinz-Diego Leers, Gründer des "Pulverfass" auf der Reeperbahn, ist tot. Nicht nur für die Hamburger Travestieszene bleibt er eine Legende. Ein Nachruf.

Heinz-Diego Leers ist an Neujahr im Alter von 78 Jahren verstorben. Am Morgen des 1. Januar 2023 hatte sein Herz aufgehört zu schlagen, nachdem er infolge einer schweren Erkältung ins Krankenhaus eingeliefert worden war, sagte seine Tochter Serena Goldenbaum t-online.

Die Kiez-Legende wird nicht nur für seine Hinterbliebenen unvergessen bleiben. Denn: Mit dem "Pulverfass" hatte sich Leers auf dem Hamburger Kiez ein Lebenswerk geschaffen. Das Lokal ist nicht nur eines der bekanntesten Travestiecabarets in Deutschland, sondern zählt auch zu den größten Travestietheatern Europas.

47 Jahre leitete er die Geschicke des Lokals, ehe Leers die Leitung wegen seines Alters und aus gesundheitlichen Gründen Mitte 2021 an zwei ehemalige Stammgäste abgab. Von einer Lungenembolie, die er im Jahr 2014 erlitt, hatte er sich nie ganz erholt.

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"Pulverfass"-Gründer Leers machte Travestie salonfähig

"Er hat die Travestie in Europa salonfähig gemacht und aus der Schmuddelecke herausgeholt", heißt es in einer Stellungnahme, die das "Pulverfass" im Mai 2021 zum Anlass seines Abschieds veröffentlichte. "Ebenso hat er die Crazy Boys ins Leben gerufen. Seitdem ist Men-Strip bei vielen Veranstaltungen nicht mehr wegzudenken."

Die Geschichte des Theaters beginnt im Jahr 1973 in St. Georg. In der Straße Pulverteich betreibt sein Vater ein Lokal, das Heinz-Diego Leers übernimmt. Eigentlich will er aus dem Laden eine Diskothek machen.

Zur Neueröffnung lädt er damals Travestiekünstler ein, die ihm der Leiter des "Chez Nous" in Berlin leiht. Die kommen so gut an, dass daraus eine Geschäftsidee entsteht – zunächst jedoch mit mäßigem Erfolg. "Damals saßen wir oft allein im Laden. Die Leute trauten sich nicht herein", sagte der Gastronom im Juni 2021 der "Hamburger Morgenpost" (Mopo). Damals war die Travestie noch relativ unbekannt und galt als anrüchig.

Seine Tochter erinnert sich noch sehr gut an die Anfänge. "Ich bin als kleines Mädchen dort aufgewachsen. Seit ich denken kann, gibt es das 'Pulverfass' mit Artisten, Künstlern, Musik, Haaren", sagt Serena Goldenbaum t-online. Das habe sie auch beruflich geprägt: Die Hamburgerin ist Make-up-Artistin, unter anderem für die Moderatorin Sylvie Meis.

Leers revolutioniert Travestieshows in Deutschland

Als das "Pulverfass" schließlich besser läuft, muss sich Leers jedoch zunächst mit anderen Problemen herumschlagen: Je besser der Laden läuft, umso mehr erhöht sein Vater die Pacht. "Er ging morgens durch den Laden und zählte die leeren Flaschen, um zu gucken, was ich an Umsatz mache. Danach verlangte er mehr Geld", sagte Leers der "Mopo".

Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2001 zieht Leers mit dem "Pulverfass" von St. Georg in das ehemalige "Oase"-Kino auf der Reeperbahn. Hier beginnt die Kult-Geschichte.

Leers bietet als Erster in Deutschland neben den Shows – die damals noch mehr nackte Haut enthalten – auch Speisen an. In Paris sei das damals schon üblich gewesen, berichtet das Magazin "Schwulissimo". Pro Abend stehen um die zehn Künstler auf der Bühne – es gibt Revuen, Gesang, Comedy und Striptease. Heute gleichen die Shows eher Inszenierungen aus Las Vegas.

"Es war einfach sein Leben und er hat es immer weiterentwickelt", sagt Goldenbaum. "Ich finde, er hat auch ein bisschen den Weg geebnet, um die Toleranz für Travestie zu schaffen. Er hat dem Ganzen im wahrsten Sinne des Wortes eine Bühne gegeben – gegen alle gesellschaftlichen Widerstände."

Viele große Travestiekünstler fingen im "Pulverfass" an

Im Laufe der Jahre stehen Szenegrößen wie Angie Stardust aus New York auf der Bühne, auch aus Brasilien oder Frankreich kommen Artisten nach Hamburg. Viele große Künstler werden im "Pulverfass" berühmt: So wagen Olivia Jones und Mary & Gordy ihre ersten Schritte auf Leers Showbühne. Heute tanzen Burlesque-Stars wie Eve Champagne dort.

Auch bei Prominenten kommen die Shows gut an. Mary Roos, Vicky Leandros, Catharina Valente, Udo Lindenberg, Verona Pooth amüsierten sich schon in dem Laden auf Deutschlands "sündiger Meile".

Nach eigenen Angaben hat James Last einst eine Lokalrunde für alle Gäste ausgegeben, Mary Roos verguckte sich in das Abendkleid einer Travestiekünstlerin und trat damit in einer Fernsehshow auf. Auch Schlagersängerin Andrea Berg feierte hier schon nach einem Konzert in Hamburg, heißt es auf der Webseite des "Pulverfass".

Männerfantasien und eine zerbrochene Ehe

Doch ein Blick in Leers' Vergangenheit zeigt auch weniger schillernde Seiten: Bevor er das Lokal seines Vaters übernahm, war er Einzelhandelskaufmann. Gemeinsam mit seiner Frau, mit der er eine Tochter hat, besaß und leitete er zwei Spar-Supermärkte. Heinz-Diego liebt seine Frau, merkt aber, dass er sich auch zu Männern hingezogen fühlt. Er will sich ausleben und auch mal "alleine weggehen". Schließlich trennen sich beiden – nach acht Jahren Ehe.

Über die Trennung ihrer Eltern sagt Goldenbaum: "Ich war traurig, weil ich dadurch weniger von ihm hatte. Ich habe ihn immer vermisst." Sie sei schon von klein auf ein Papa-Kind gewesen. "Mir war aber schon damals bewusst, dass er den Weg, den er gegangen ist, gehen musste. Er wäre sonst nicht glücklich geworden."

Selbst auf die Bühne wollte Leers übrigens nie. "Dafür bin ich zu männlich", sagte er einst der "Mopo". Er werkelte lieber im Hintergrund, stellte die Shows zusammen, kümmerte sich um die Mitarbeiter und suchte nach neuen Künstlern.

Abschied aus dem "Pulverfass" fiel ihm schwer

Die Lungenembolie im Jahr 2014 und das zweiwöchige Koma sei für die ganze Familie ein "schwerer Schock" gewesen, erinnert sich Goldenbaum. "Zum Glück hat es das Krankenhaus geschafft, ihn noch einmal aufzupäppeln und er ist wieder zu sich gekommen." Dadurch habe ihr Vater noch einmal die Chance gehabt, sein Leben zu genießen.

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Dennoch gab er das "Pulverfass" Mitte 2021 schließlich in die Hände zweier Stammgäste. Ihm sei diese Entscheidung sehr schwergefallen, sagt Goldenbaum. Aber ihr Vater habe gemerkt, dass er nicht mehr dazu in der Lage sei, jeden Tag die erforderliche Energie aufzubringen. Dennoch blieb Leers dem Lokal auch nach seinem Ausscheiden verbunden: Unter der neuen Führung erhielt er einen Vertrag als Berater.

Trauerfeier soll bunt und schrill werden

Nun soll Heinz-Diego Leers auf dem Ohlsdorfer Friedhof seine letzte Ruhe finden. In der nächsten Woche ist eine besondere Trauerfeier (11. Januar, 12.30 Uhr) zu Ehren von Heinz-Diego Leers in der Kapelle 13 geplant. Sie soll bunt und schrill sein – so wie es sein Leben war. "Mein Vater mochte kein Schwarz, deshalb darf jeder kommen, wie er möchte. Alles kann, nichts muss", so Goldenbaum.

Auf Wunsch der Familie wird seine Urne anschließend in privatem Rahmen anonym beigesetzt. Es sei sein Wunsch gewesen, berichtet die Tochter. "Das bin zwar nicht ich, aber ich möchte seinem letzten Willen gerne nachkommen."

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Serena Goldenbaum, Tochter von Heinz-Diego Leers
  • pulverfasscabaret.de: Die Geschichte des "Pulverfass"
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