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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sängerin Annett Louisan "Ich hatte schon immer einen Hang zum Rotlichtmilieu"
Auf ihrem neuen Album singt Annett Louisan über Liebe, Enttäuschungen, Partnerschaft, Sterben, Glaube und das Älterwerden. Wie sie damit umgeht, verrät sie im Interview.
Annett Louisan wurde 2004 mit dem Song "Das Spiel" über Nacht zum Star. Die Pop- und Chansonsängerin aus Hamburg hat jetzt ein neues Album am Start: "Babyblue" heißt es und handelt vom Blues in der Mitte des Lebens und vom Älterwerden. "Babyblue" bezieht sich der Sängerin zufolge aber auch auf eine Person: eine Prostituierte, "die Prinzessin der Herbertstraße".
Die 45-Jährige, die bislang mehr als 1,5 Millionen Tonträger verkauft hat, singt auf dem neuen Werk über Angst und wie sie mit diesem Lebensabschnitt umgeht. Am 21. Februar ist sie mit ihrer "Babyblue Live"-Tour zudem in der Hamburger Elbphilharmonie zu Gast. Louisan gab t-online ein persönliches Interview, in dem sie über Panikattacken, das Muttersein sowie ihre Bedürfnisse als Künstlerin spricht.
t-online: Frau Louisan, warum heißt das neue Album "Babyblue"?
Annett Louisan: Das Wort hat für mich ganz viele Facetten. Bin ich das oder eine Pop-Lolita, die ich mal war? "Babyblue" hat auf jeden Fall mit meinem Leben zu tun. Und natürlich ist das Wort auch eine Hommage an diese Frauen, die durch ihre Sexarbeit sehr viel Leid erfahren haben. Ich hatte immer schon einen starken Hang zum Rotlichtmilieu. Als Musikerin arbeite ich abends und in der Nacht. Ich komme aus Hamburg und da liegt die Reeperbahn nah. Leider hat sich der Kiez sehr verändert. Früher habe ich es geliebt, in Kneipen zu gehen und mich mit wildfremden Menschen zu unterhalten. Aber die Zeit ist eine andere geworden. Auf der neuen Platte geht es auch darum, dass sich die Gesellschaft verändert hat.
Wie haben Sie sich im Laufe der Jahre verändert?
Schon sehr. Die Sängerin Annett Louisan ist eine Art Kunstfigur. Das war sie immer und das wird sie auch immer sein. Für mich ist es toll, weil ich in so viele Rollen schlüpfen kann. Diese Liebe war bei mir schon als Kind da. Aber es hat auch so viel mit mir zu tun. Das neue Album hat damit zu tun, dass ich Mama geworden bin. Das hat mein ganzes Leben verändert.
Warum sind Sie eine Kunstfigur?
Es gibt mindestens zwei verschiedene Sorten Künstler. David Bowie war auch eine Kunstfigur. Ich muss die Annett immer wieder pflegen und suchen. Sie ist in den 20 Jahren, in denen ich Musik mache, etwas verkrüppelt. Und ich muss sie auch schützen.
War Ihr größter Hit "Das Spiel" für Sie Fluch oder Segen?
Immer ein Segen. Den Fluch habe ich ganz langsam abgearbeitet. Und ich habe mich nie dagegen gewehrt. Mit dem Lied habe ich auch den Blick auf Frauen verändert, die vielleicht klein und niedlich sind. So bin ich früher eingeschätzt worden. Aber beim Blick auf Frauen hat sich viel verändert. Dinge von früher würde ich heute nicht mehr mit mir machen lassen. Ich würde mich nicht mehr kleinmachen lassen. Das ist mit dem Älterwerden besser geworden.
Auf der neuen Platte dreht sich vieles um den Blues in der Mitte des Lebens. Macht Sie das nachdenklich?
Ich kann das nicht leugnen, ja. Ich hatte einen Babyblues, den hatte ich nur nicht direkt bemerkt. Die Geburt war das schönste Erlebnis, aber die Zeit danach war auch die härteste. Dir wird auf einmal klar, dass es das jetzt war mit dem bisherigen Leben. Das hat mich schon traurig gemacht. Auch die Verabschiedung von all den Dingen, die man in jungen Jahren gemacht hat. Ich merke, dass alles endlich ist. Das Gefühl mit der Verabschiedung von der Unsterblichkeit habe ich sehr lange mit mir getragen, seit der Geburt meiner Tochter aber nicht mehr. Zu akzeptieren, dass ich nichts weiß, hilft mir so viel mehr entspannter zu sein. Aber das war ein Kampf. Heute bin ich gnädiger mit mir. Früher dachte ich immer, ich weiß, wie es läuft. (lacht)
Sind Sie auch entspannter, weil Sie Mutter sind?
Ja, aber es war ein steiniger Weg. 2019 ging ich auf Tour und als vorher das Album "Kleine, große Liebe" veröffentlicht wurde, war meine Tochter gerade anderthalb, zwei Jahre. Es war der größte Wunsch von mir, Mutter zu werden. Ich habe die ersten 18 Monate gar nichts gemacht, wollte nur für die Kleine da sein. Ich wusste ja, dass es irgendwann wieder losgeht und ich dann diesen Spagat Mutter/Sängerin hinbekommen muss. Im ersten halben Jahr nach der Geburt war ich nur krank. Es fiel mir schwer, meine Tochter loszulassen und in andere Hände zu geben. Heute kann ich das gut, weil ich merke, dass ich viel zufriedener bin. Ich brauche meinen Job als Musikerin, um komplett glücklich zu sein. Wenn ich glücklich bin, ist meine Tochter das auch.
Sie singen aber auf der neuen Platte über das Thema Angst. Warum?
Heute darf man leider gar nicht mehr traurig sein. Aber es muss eine Legitimation für Melancholie geben. Das brauche ich. Ich bin mutig und ängstlich zugleich. Wenn ich meine Angst überwinde, ist es für mich das Beste überhaupt. Ich konnte immer sehr hoch fliegen, aber ich kann auch tief fallen. Das musste ich als Mutter unter Kontrolle kriegen, weil ich Verantwortung für meine Tochter trage. Aber auch für mich. Das war ganz schön anstrengend.
Wann hatten Sie das letzte Mal Angst?
Ich hatte oft mit Angst und Panikattacken zu kämpfen. Und beides hat sich bei mir als Musikerin verschlimmert, weil ich als Sängerin in der Öffentlichkeit stehe. Ich hatte oft die Angst zu versagen. Ich wollte immer Sängerin werden, aber zu Beginn meiner Karriere hatte ich vor den Auftritten Todesangst. Hinterher war ich umso glücklicher. Das ist heute nicht mehr so.
Wie geht es Ihnen aktuell?
Ich war 40, als ich Mutter wurde. Da bin ich so reingeschlittert in diese mittleren Jahre. Im April werde ich 46 und die letzten beiden Jahre waren extrem anstrengend. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt erst zu meinen Themen gekommen bin. Ich habe früher ansatzweise Therapien gemacht, habe die aber nie durchgezogen. Vielleicht, weil ich da nicht ganz ehrlich zu mir selbst sein konnte. Aber ich musste an gewisse Traumata ran.
Sie singen auf "Babyblue" in einem Song "Wenn ich einmal sterben sollte, verlässt die Seele ihr Verließ". Warum solche schweren Worte?
"Wenn ich einmal sterben sollte" ist das erste Liebeslied an mich selbst. Die Tatsache, dass ich vieles nicht mehr verdrängen konnte und mir eingestehen musste, dass ich manchmal sehr melancholisch und depressiv bin, führt dazu, dass der Tod fast wie eine Erleichterung wäre. So ist es gemeint. In den vergangenen drei Jahren gab es Momente in meinem Leben, wo ich mir selbst nicht helfen konnte. Es war so schwer für mich, trotz der Geburt meiner Tochter. Ich hatte keine durchgehende Depression, aber ich hatte schwere Zeiten. Auch in der Pandemie, die da nicht mal das Schwierigste war. Es ging um persönliche und existentielle Dinge.
Das neue Werk ist eine Verbeugung vor den späten 60er und frühen 70er Jahren. Warum diese Zeit? Sie sind ja ein Kind der 80er.
Das stimmt. Auf der letzten Platte "Kitsch" habe ich die 80er abgearbeitet. Im Grunde ist das neue Album musikalisch das, was ich immer machen wollte. Ich liebe alten Schlager, die Swing-Arrangements und die Melodien aus dieser Zeit.
Eine andere Textzeile lautet im Song "L‘Amour": "Eine Kirsche hat nur einen Kern, unsere Liebe kriegt nur einen Stern". Fliegt Ihnen so was einfach zu?
Ich habe fast das Gefühl, dass das sehr feminin ist. Ich habe keine Angst vor Wörtern wie Schmetterling. (lacht) Texten ist Schwerstarbeit und dann ist eine Zeile mal da und wenn man Glück hat, erarbeitet man sich den Text drumherum oder die Idee für eine Geschichte. Manchmal fliegt mir etwas zu, dann spreche ich es sofort ins Handy, doch ich nehme mir immer vor, dass die Musik auch einen größeren Stellenwert bekommen soll. Mit wenig Text viel zu sagen und dann noch eine wunderbare Melodie dazu – das ist die Königsdisziplin.
Ist es nicht etwas mutig, solch eine Chanson-Platte zu veröffentlichen? Die Radios werden das eher nicht spielen, oder?
Ich werde nicht mehr im Radio gespielt. Und wenn, dann nur von Sendern, bei denen es gar nicht die Hörer gibt, die das mögen. Ich werde immer noch in den Schlager-Bereich reingepackt. Chanson ist nichts anderes als Schlager. Es ist ein schmaler Grat. Es ist nicht einfach gespielt zu werden, aber ich muss das machen, was ich machen muss und das machen, was kein anderer macht. Meine Bedürfnisse als Künstlerin haben sich verändert. Früher hat es mich glücklich gemacht, andere Leute glücklich zu machen. Ich wollte gemocht werden. Heute will ich das lieben, was ich mache. Mit 26 hätte ich das noch nicht gekonnt.
Was für eine Mutter sind Sie?
Ich bin impulsiv, etwas ungeduldig und leicht gestresst. Ich bin eine liebevolle Mama. Ich sage meiner Tochter (Emylou, d. Red.) ganz oft, dass ich sie liebe und dass sie ganz toll ist. Ich möchte so viel Liebe in sie schütten, wie es nur geht. Ich bin eine Spiel-Mama. Ich spiele lieber mit ihr, als dass ich ihr ein Essen koche. Ich kann sehr gut Fantasie-Schlösser bauen.
Und wie kriegen Sie Mutter und Sängerin unter einen Hut, wenn Sie auf Tour sind?
Auf der Tour 2019 war Emylou dabei. Das war aber am Ende für alle total anstrengend. Ich werde das etwas vermischen. Auf der kleinen Promo-Tour nehme ich sie nicht mit. Ich achte darauf, dass es genug Pausen gibt, wo ich zwei Tage zu Hause sein kann. Ganz ehrlich? Ich arbeite manchmal viel, dann habe ich aber auch mal einen Monat frei. Da bin ich komplett für sie da.
Es geht auf "Babyblue" auch um Glück und Unglück. Wie gehen Sie persönlich damit um, wenn Ihnen Unglück widerfährt oder Sie mit einer Situation nicht klarkommen?
Ein großes Problem bei mir ist, wenn ich zu lange in einem Zustand verharre, der mich unglücklich macht. Ich brauche leider sehr lange, um mich zu entscheiden. Dann bin ich passiv, werde etwas unzuverlässig und melde mich auch nicht bei Freunden. Das Allerwichtigste ist, dass man sagt, was man möchte.
- Persönliches Interview mit Annett Louisan