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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zoff um historische Villa Es rumort im Urlaubsparadies
Die Stadtvilla prägt das Ortsbild seit fast 120 Jahren. Jetzt droht der Abriss, doch das wollen viele nicht hinnehmen. Nun kommt es zum Bürgerentscheid.
Der Abrissbagger war schon fast auf dem Weg, doch in letzter Minute wurde das kontrovers diskutierte Vorhaben abgesagt. Der Streit um die 118 Jahre Stadtvilla im Ort Nebel auf Amrum gärt schon lange, 24 Jahre, um genau zu sein. Nun kommt es zum Bürgerentscheid. Die 984 Anwohner der Insel sollen selbst abstimmen, was mit dem "Haus des Gastes" künftig passieren soll. Neubau und damit verbunden ein Abriss des Gebäudes oder doch eine aufwendige Sanierung?
Am kommenden Sonntag, 11. Februar, sind die knapp 1.000 Insulaner aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Gemeinde ist klar für einen Abriss des Gebäudes, will zudem 27 Bäume im angrenzenden Kurpark fällen lassen, weitere 56 alte und kranke sowie zu eng stehende Bäume würden ebenfalls dran glauben müssen. Auch das kritisieren die Mitglieder der Bürgerinitiative (BI) "Retten wir das Haus des Gastes". Ihnen schwebt der Erhalt des Hauses vor, samt umfassender Sanierung. Würde das Gebäude abgerissen, komme das einem "Totalschaden" für die Insel gleich, argumentiert die BI.
Die Stadtvilla – "ein wahres Schmuckstück"?
Marode und nicht mehr zeitgemäß sei das Gebäude, findet hingegen die Gemeinde. Ein Gutachten habe zudem schon vor langem ergeben: "Das Haus ist nicht wirtschaftlich sanierbar", so Nebels Bürgermeister, Clemens Bendixen (CDU). Deshalb soll ein Flachbau entstehen, der eine "zeitgemäße touristische Infrastruktur und moderne Begegnungsstätte für die insulare Bevölkerung, Vereine und Verbände als auch für unsere Urlaubs-Gäste" schaffe. Die Bürgerinitiative hält dagegen und sagt: Die Jugendstilvilla könnte wieder in altem Glanz erstrahlen, "ein wahres Schmuckstück" werden.
Ein Abriss mit anschließendem Neubau würde laut Gemeinde rund 9,5 Millionen Euro kosten. Die BI glaubt, das sei nicht das Ende und die Investitionen könnten wesentlich höher ausfallen. Mit dem Geld könnte die Villa jedoch auch ansprechend saniert werden. Auch ein Anbau sei für diese Kosten möglich. So sehen es die Pläne der Abrissgegner vor.
Insulaner sprechen vom "Wahrzeichen Amrums"
Zahlreiche Insulaner verbinden mit der Stadtvilla, erbaut 1905 im Bäderstil, Kindheitserinnerungen. In früheren Zeiten waren im Gebäude ein Lungensanatorium und ein Kinderheim untergebracht. Seit 1986 gehört das Gebäude der Gemeinde, die dort die Tourismuszentrale und Veranstaltungsräume installierte.
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In den Kommentaren zur Petition, die letztlich zum Bürgerentscheid führte, heißt es unter anderem: Das Haus sei "ein Wahrzeichen" Amrums, es "abzureißen und durch einen kalten Neubau zu ersetzen, passt nicht". Das Gebäude habe Charakter, schreiben andere, es passe "wunderbar ins Dorfbild". Die Nachricht vom geplanten Abriss mache viele "fassungslos".
Stadt legt Fokus auf Moderne
Doch gerade mit Blick auf die historische Bausubstanz seien mit einem Erhalt des Gebäudes große Probleme verbunden, argumentiert die Gemeinde. Ein Neubau könne eine "langfristige und zeitgemäße Energieversorgung nach bestmöglichen Standards" gewährleisten. Auch sei nur durch einen Neubau eine moderne und vor allem barrierefreie Gestaltung des Hauses möglich. Darum plädiere man für den Abriss, nicht zuletzt könne so "eine Vernetzung von historischem Ortskern und moderner Architektur" geschaffen werden.
Insbesondere die angeblich so marode Bausubstanz der Villa spaltet die beiden Lager. Viele Jahre hieß es, das Gebäude sei baufällig, Gutachten sollten das belegen. Doch erst als die Initiatoren der BI, Liane Kurfürst und ihr Mann Manfred dieses einsehen wollten, habe man festgestellt: Es gibt ein solches Gutachten nicht. "Es war immer von einem Gutachten die Rede. Doch als wir das sehen wollten, gab es gar keins", berichtete sie der "Tageszeitung" (taz).
Abstimmung sorgt schon jetzt für Verwirrung
Daraufhin gründete die beiden zusammen mit anderen die Bürgerinitiative und setzen sich seitdem für den Erhalt des "Haus des Gastes" ein. Dass sie dabei mit kräftigem Gegenwind zu rechnen haben, verstehe man nicht, so Kurfürst zur "taz". "Wir wollten keinen Streit in der Gemeinde, nur sachlich klären, ob sich dieses ortsprägende Gebäude vielleicht doch retten lässt."
Trotz des Bürgerentscheids am 11. Februar könnte das Kapitel Stadtvilla damit noch nicht zu Ende sein: Drei Kreuze müssen bei der Abstimmung gesetzt werden. Erstens: Ein Ja oder Nein zum Vorschlag der BI, das bestehende Gebäude zu erhalten und zu sanieren. Zweitens: Ein Ja oder Nein zur Idee der Gemeindevertretung für einen Neubau sowie eine Stichfrage – ein Verfahren, das unübersichtlich scheint und zu Fehlern – und damit ungültigen Stimmen – führen kann.
- Eigene Recherche
- retten-wir-das-haus-des-gastes.de: Hintergründe
- ndr.de: "Streit um "Haus des Gastes" auf Amrum"
- amrum-news.de: "In Nebel – ein historisches Gebäude vor dem Ende"
- taz.de: "Abstimmung nach 24 Jahren Debatte"
- amrum.de: Finanzierung