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Hamburg: Schmusen nach Regeln in der Kuschelpraxis – "Fühl dich umarmt"


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"Fühl dich umarmt"
Schmusen nach Regeln in Hamburgs Kuschelpraxis


Aktualisiert am 20.12.2019Lesedauer: 3 Min.
Eine Frau umarmt einen Mann: Kuscheln soll gesund sein.Vergrößern des Bildes
Eine Frau umarmt einen Mann: Kuscheln soll gesund sein. (Quelle: Kuschelpraxis Hamburg)

In der Kuschelpraxis in Hamburg erleben Kunden professionelle Schmuseeinheiten mit ausgebildeten Therapeuten. Das soll gesund sein und gegen Einsamkeit helfen. Wie fühlt sich das an?

Kuscheln als Therapie – das wird seit Neuestem in Hamburg angeboten. Alexandra Ueberschär und Alicja Behrens betreiben gemeinsam die erste Kuschelpraxis der Stadt. Dort bieten die "Kuscheltherapeutinnen" gegen Bezahlung körperliche Nähe an, ohne sexuelle Hintergedanken.

Die Sitzungen finden in einem hellen Raum mit großem Fenster statt. "Fühl dich umarmt", steht auf einer Postkarte im Regal. Auf dem Boden liegt ein weißer, flauschiger Teppich. Die Menschen, die die Kuschelpraxis besuchen, leiden fast alle unter Einsamkeit.

Sexuelle Handlungen sind tabu

Die meisten seien aufgeregt vor ihrem ersten Besuch, erzählt Ueberschär. Meist lege sich das aber nach einem Vorgespräch. Darin klärt die Profikuschlerin die Bedürfnisse und Erwartungen. Jeder Klient muss eine Erklärung unterschreiben, dass sexuelle Handlungen tabu sind.
Erst danach geht es auf das Sofa. Beim Kuscheln tastet sich die 42-Jährige langsam vor. Anfangs hält sie nur die Hand ihrer Patienten. Erst nach einiger Zeit nimmt sie sie auch in den Arm oder bittet sie, sich im Sitzen mit dem Rücken an ihren Körper zu lehnen. Höchste Stufe der Berührung ist das gemeinsame Liegen in Löffelchenstellung.

Ueberschär hat eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und später viele Jahre lang als Coach gearbeitet. Immer wieder hatte sie das Gefühl, dass ihre Kunden auch körperliche Begleitung brauchen. Daher machte sie sich als professionelle Kuschlerin selbstständig. Im Oktober eröffnete sie gemeinsam mit Alicja Behrens die eigene Praxis in Hamburg-Bahrenfeld. Die beiden haben drei weitere Mitarbeiter und bilden auch andere Menschen zu "Kuscheltherapeuten" aus.

Auch junge Menschen kommen vorbei

Unter den Klienten sind Senioren, die keine Angehörigen mehr haben, Businessfrauen, die mal Schwäche zeigen möchten, oder Trauernde, die den Verlust eines lieben Menschen verarbeiten möchten. Auch Ende 20-Jährige waren schon da, Berufseinsteiger, die in einer neuen Stadt weit weg von ihrer Familie leben. Einmal, erzählt Ueberschär, sei ein junger Mann gekommen, der noch nie eine feste Beziehung hatte. "Der wollte einfach mal ausprobieren, wie es ist, eine Frau im Arm zu haben." Gelegentlich sind sogar Verheiratete unter den Besuchern – etwa pflegende Angehörige.

Deutschland im Kuschel-Hype

Die Berührung wirke meistens beruhigend auf die Patienten. Abgebrochen habe die Sitzung noch niemand. 80 Euro kostet eine einstündige Einheit – etwa genauso viel wie eine Massage oder eine Behandlung beim Physiotherapeuten.

Aktuell herrscht in ganz Deutschland ein wahrer Kuschel-Hype. Privatleute organisieren vielerorts sogenannte Kuschelpartys, bei denen sich Gleichgesinnte zum Schmusen nach festen Regeln treffen. Immer mehr professionelle Berührer bieten ihre Dienste auch gegen Geld an. Auf dem Internetportal "Die Kuschel Kiste" sind beispielsweise über 40 Anbieter aus Städten im gesamten deutschen Sprachraum vertreten. Ueberschär und ihre Partnerin wollen sich bewusst vom übrigen Markt abgrenzen, indem sie besonders den therapeutischen Charakter ihres Angebots hervorheben.

Tatsächlich belegen zahlreiche Studien die positive Wirkung des Kuschelns. "Berührungen führen zu einer Fülle von biochemischen Reaktionen", sagt der Psychologe und Leiter des Haptik-Labors an der Uni Leipzig, Martin Grunwald. Folgen sind unter anderem weniger Angst, weniger Stress und Glücksgefühle, wie er es anschaulich in seinem Buch "Homo hapticus" beschreibt. Weiter entspannt sich die Muskulatur, der Blutdruck sinkt, die Herzfrequenz nimmt ab. Sogar das Immunsystem wird gestärkt.

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Die Idee einer Kuschelpraxis findet Grundwald grundsätzlich gut. "Es scheint zu helfen. Und wer hilft, hat recht", argumentiert er. Beim physischen Kontakt handele es sich um ein uraltes Heilmittel. Nebenwirkungen seien nicht zu befürchten. Der Experte sagt aber auch: "Der Bedarf an solchen Angeboten lässt darauf schließen, dass unsere Kultur eine ganze Reihe einsamer Menschen produziert." Das sei eigentlich ein trauriges Signal.

Alexandra Ueberschär verlangt die extreme Nähe zu ihren Kunden viel Professionalität ab. Sexuelle Erregung lässt sich nicht immer vermeiden. Es komme durchaus vor, dass Männer mal eine Erektion bekommen, berichtet sie. "Aber das ist nicht schlimm und geht bald wieder vorüber." Meist helfe ein Positionswechsel. Annäherungsversuche habe es bislang nie gegeben. Private Kuscheleinheiten mit ihrer Familie – Ueberschär ist verheiratet und hat zwei Kinder – würden unter ihrer Arbeit nicht leiden. "Ich kuschele auch nach wie vor zu Hause gern."

Verwendete Quellen
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