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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Warnstreik am Hamburger Flughafen Die Ruhe vor dem Sturm
Die Gewerkschaft Verdi hat zum Warnstreik am Hamburger Flughafen aufgerufen – und das ausgerechnet zum Ferienstart. t-online ist am Freitagmorgen vor Ort.
An deutschen Flughäfen herrscht seit Wochen Chaos. Lange Schlangen, gestresste Passagiere, ausfallende Flüge und überlastete Kundenhotlines gehören zum Programm. Ausgerechnet zum Start der Sommerferien in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern ruft die Gewerkschaft Verdi zum Warnstreik am Hamburger Flughafen auf.
Schon mit der ersten S-Bahn des Tages sind zahlreiche Fluggäste auf dem Weg zum Flughafen. Sie teilen sich die Plätze mit den Feiernden, die mit der Bahn nach Hause fahren. Gegen 4:30 Uhr, eineinhalb Stunden vor dem ersten Abflug, haben sich an den Terminals des Hamburger Flughafens schon lange Schlangen gebildet. Auch vor den Check-in-Schaltern stehen zahlreiche Menschen – teilweise schon bevor die Schalter öffnen.
Es sei ein starker Reisetag mit 45.000 An- und Abreisenden, sagte eine Pressesprecherin des Hamburger Flughafens am Freitagmorgen. Aufgrund des hohen Aufkommens habe der Flughafen bereits um 3.15 Uhr die Terminals und um 3.30 Uhr die Check-in-Schalter geöffnet. Laut Bundespolizei kam es bereits um 4.30 Uhr zu Wartezeiten von bis zu 60 Minuten vor den Sicherheitskontrollen.
Hamburger Flughafen erwartet 300.000 Passagiere zu Ferienbeginn
Flughäfen und Airlines haben in der Pandemie vor allem bei Personalkosten gespart. Große Teile waren in Kurzarbeit, Tausende Stellen wurden bundesweit gekürzt. Laut Verdi sind alleine bei den Bodenverkehrsdiensten in den letzten zwei Jahren bis zu 60 Prozent der Beschäftigten ausgeschieden. Jetzt fehlt es an Personal.
Langwierige Sicherheitsüberprüfungen für die Arbeit am Flughafen und ein leergefegter Arbeitsmarkt würden die Suche nach Arbeitskräften kompliziert machen, erklären die Flughafenbetreiber. Hinzu kommen hohe Krankenstände. Dies führe unter anderem zu den langen Schlangen bei den Sicherheitskontrollen und Check-ins – nicht nur in Hamburg. Auch zahlreiche Flüge fallen bundesweit aus.
Gleichzeitig ist die Zahl der Reisenden dank anstehender Sommerferien und aufgehobener Reisebeschränkungen rasanter angestiegen, als die Flugbranche es erwartet hatte. "Am Hamburger Flughafen haben sich die Passagierzahlen allein von Anfang Februar bis Mai verdreifacht", erklärt Michael Eggenschwiler, Vorsitzender der Geschäftsführung am Hamburg Airport, am Donnerstag in einer Pressemitteilung. In den beiden ersten Ferienwochen erwartet der Hamburg Airport jeweils rund 300.000 Passagiere.
Verdi: Warnstreik zum Ferienbeginn "ist Zufall"
Viele Fluggäste machen am Freitagmorgen Fotos von der Warteschlange, die Bundespolizei beobachtet die Lage. Während die ersten Flüge starten, beginnt mit der Frühschicht bei der Real Estate Maintenance Hamburg (RMH), einer 100-prozentigen Tochter des Flughafens Hamburg, ein 24-stündiger Warnstreik. Rund 180 Mitarbeiter hat die RMH.
An einer Bushaltestelle des "Parkhaus-Shuttle" sammeln sich nach und nach die Streikenden. Es werden Warnwesten und Trillerpfeifen verteilt. Wer ins Gebäude zur Arbeit will, wird angesprochen und zum Streiken aufgefordert. 30 bis 40 Mitarbeiter der Frühschicht seien dem Aufruf am Freitag schon vor 6.30 Uhr gefolgt, es würden hoffentlich noch mehr, sagte Gewerkschaftssekretär Lars Stubbe.
Mit dem Streik wollen die Arbeiter nicht die Fluggäste schädigen, erklärt Stubbe. "Heute kommen zum ersten Mal alle Kollegen aus der Kurzarbeit raus. Vor diesem Hintergrund haben wir beschlossen, heute zu streiken", sagt der Gewerkschaftssekretär im Gespräch mit t-online. In den Verhandlungen, die bereits seit Mai laufen, hätten sie bislang kein zufriedenstellendes Angebot von der Geschäftsleitung bekommen.
Dass der Warnstreik mit dem Passagieransturm zum Ferienbeginn zusammenfalle, sei nicht geplant und gewollt gewesen, sagte Stubbe. "Das ist ein Zufall." Es gehe darum, deutlich zu machen, dass die Kollegen hinter den Forderungen stehen, so der Gewerkschaftssekretär.
Streikende lassen sich vom Wetter nicht unterkriegen
Wenn es keine Fehler an der Technik des Flughafens gibt, sollte der Warnstreik keine große Auswirkung auf den Betriebsablauf haben. Die Beschäftigten der Real Estate Maintenance GmbH (RMH) sind nicht operativ, sondern unterstützend tätig – zuständig für die Instandhaltung der Technik in der Gepäckbeförderung, der Startbahnen und aller anderen technischen Infrastrukturen.
50 Arbeiter, fast ein Drittel der Belegschaft, beteiligen sich bei strömendem Regen gegen 7:30 Uhr an der Streikdemo über das Flughafengelände. "Wir wollen faire Löhne", rufen sie und machen Lärm mit ihren Trillerpfeifen. Auf einem Transparent wird Helmut Schmidt, der Namensgeber des Hamburger Flughafens, zitiert: "Natürlich muss auch mal gestreikt werden."
In den letzten zwei Jahren mussten die Streikenden mit dem aufgestockten Kurzarbeitergeld auskommen. Verdi fordert deshalb jetzt 8,5 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 12 Monaten. "Diejenigen, die jetzt hier noch verblieben sind, haben in der Corona-Zeit ihre Loyalität gegenüber dem Unternehmen bewiesen. Und diese Loyalität muss sich aus unserer Sicht jetzt auszahlen", erklärt Stubbe.
Ein weiterer wichtiger Grund für den Streik: die großen Gehaltsunterschiede zwischen den beiden Tarifen in der RMH. Vor dem Lilienthalhaus, in dem die Geschäftsführung sitzt, halten die Streikenden eine Kundgebung ab, bevor sie zum Streikcafé in ein trockenes Büro verschwinden.
Das große Chaos bleibt vorerst aus
An den Terminals sind die Warteschlangen in der Zwischenzeit verschwunden, nur an einzelnen Check-in-Schaltern gibt es größeren Andrang. "Wir sind über drei Stunden früher da, weil wir dachten, es wäre mehr los", erzählt ein junger Mann, der mit drei Koffern am Terminal 1 wartet. Seine Reisebegleiterin sucht gerade den richtigen Check-in-Schalter. Auch andere Fluggäste hatten mehr Chaos erwartet, wie Gesprächsfetzen deutlich machen.
Sophia steht mit ihrer Mutter am Terminal 2, sie hatte mit mehr Menschen gerechnet und ist drei Stunden vor Abflug am Flughafen. "Ich habe gestern eingecheckt, um auf Nummer sicher zu gehen", erzählt die 19-Jährige. Sie fliegt für ein Au-pair-Jahr in die USA und ist froh, dass es so leer ist. "Durch die vielen Videos im Internet, ist man so ein bisschen verunsichert gewesen", sagt sie. "Jetzt ist es sehr entspannt."
Lage an Flughäfen dürfte sich erst im Winter beruhigen
Grundsätzlich wird sich die chaotische Lage an den Flughäfen nicht so schnell entspannen. Der Personalmangel ist zu gravierend. Auch im Tagesverlauf wird weiter mit Wartezeiten gerechnet, obwohl bereits zusätzliche Einsatzkräfte zur Arbeit an den Flughafen gekommen seien, so eine Flughafensprecherin.
In einem Brief an die Fluggäste prognostizieren die Vorsitzenden der Lufthansa Group, dass sich die Lage erst im kommenden Winter stabilisieren wird. Und auch am Hamburger Flughafen wird das Chaos in den nächsten Tagen durch die beginnenden Sommerferien wohl noch weiter zunehmen – obwohl es am Freitag vorerst ruhig blieb.
- spiegel.de: "Warum das Flugchaos noch schlimmer werden könnte" (kostenpflichtig)
- verdi.de: Mitgliederzeitung (Ausgabe: 04/2022)
- hamburg-airport.de: Pressemitteilung vom 30. Juni 2022
- verdi.de: Pressemitteilung vom 29. Juni 2022
- lufthansa.com: Brief des Vorstands an die Fluggäste der Lufthansa Group
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa