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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erinnerungen an George Floyd Hartes Vorgehen der Polizei: "Es gab keinen Grund, draufzuknien"
Neuer Fall von Polizeigewalt? Ein Video zeigt einen Mann, der von Einsatzkräften fixiert wird. Die Szenen erschüttern. Und wecken düstere Erinnerungen.
Als Christian Wagner* aus der U-Bahn vor den Hamburger Hauptbahnhof kommt, sieht er die Szene: Ein Mann, der auf dem Boden liegt, unmittelbar um ihn herum vier Polizistinnen und Polizisten, die ihn fixieren. Eine der Einsatzkräfte hat ihre Hand auf dem Brustkorb und ihr Knie auf dem Kiefer des Mannes aufgelegt. Wagner fängt an zu filmen. So berichtet es der Augenzeuge im Gespräch mit t-online.
Er war an diesem Abend, es ist Samstag, der 16. Juli, privat unterwegs. Plötzlich habe er Geschrei gehört. "Das klang nicht so gut", erinnert sich der Zeuge.
Er näherte sich also dem Geschehen. Wagner schätzt, dass um die 60 Menschen versammelt waren. Viele von ihnen hätten gefilmt – aber nach Wagners Einschätzung aus zu weiter Entfernung, um auf den Aufnahmen später genau erkennen zu können, was passiert war. Also ging er näher heran. Sein Video von dem Einsatz landete schließlich über einen Kontakt auf Twitter.
Polizei Hamburg bestätigt den Einsatz
Ein Sprecher der Hamburger Polizei bestätigte am Sonntag auf Anfrage von t-online, dass der Einsatz am Hamburger Hauptbahnhof stattgefunden hat. Begonnen hat demnach alles mit einer Kontrolle des Mannes, der im Video zu sehen ist. Er sei auf einem E-Scooter mit einem unleserlichen Kennzeichen gefahren.
"Im Verlauf der Kontrolle ergaben sich darüber hinaus auch Verdachtsmomente auf eine von ihm begangene Straftat", teilte der Sprecher mit. Der Mann habe anschließend "vehement Widerstand" gegen "die weiteren polizeilichen Maßnahmen geleistet" – auch gegen seine Fesselung, als er bereits am Boden lag. Es sei daher auch Pfefferspray zum Einsatz gekommen, heißt es weiter.
Im Video ist das meiste davon nicht zu sehen, es beginnt erst, als der Mann bereits am Boden liegt. Die Polizei weist ebenfalls darauf hin, dass nicht das ganze Einsatzgeschehen abgebildet ist. "Immer wieder kommt es leider auch vor, dass gerade mit verkürzten Ausschnitten versucht wird, das Einschreiten unserer Einsatzkräfte in Misskredit zu ziehen", so der Polizeisprecher.
Mann ist vorerst in polizeilichem Gewahrsam
Auf die Frage, in welchen Fällen wie und mit wie vielen Personen laut Vorschrift fixiert werden darf, erklärt der Sprecher: "Lassen Sie sich versichert sein: Unsere Einsatzkräfte gehen in solchen Situationen professionell und mit gezielten und trainierten Eingriffstechniken vor."
Das Video, das derzeit auf Twitter für Aufsehen sorgt, geht knapp über eine Minute und zeigt den am Boden liegenden Mann. Seine Hände sind auf dem Rücken gefesselt. Neben dem Polizisten, der Brustkorb und Gesicht fixiert, halten ihn bis zu drei weitere Einsatzkräfte fest. Im Hintergrund sind aufgebrachte Menschen zu hören. Das Video endet damit, dass die Einsatzkräfte den Mann hochheben. Er steht auf, lässt sich dann abführen. Polizeiangaben zufolge ist der Mann zunächst in Gewahrsam gekommen.
Wagner berichtet davon, dass die umstehenden Menschen besorgt und aufgebracht gewesen seien, es aber keine Tumulte gegeben habe. "Mich hat das auch aufgewühlt", sagt er. Und: "Es gab überhaupt keinen Grund, draufzuknien. Das Krasse fand ich, dass das in der Öffentlichkeit stattfindet." Das mache einen "unglaublich schlechten Eindruck" und traumatisiere Menschen, meint er. "Das ist der Grund, warum ich gefilmt habe."
Nicht vergleichbar mit dem Fall George Floyd
Auch wenn solche Bilder Erinnerungen an den Fall George Floyd in den USA wecken, so gibt es doch gravierende Unterschiede. Floyd, der minutenlang mit einem Knie auf dem Hals auf den Boden gedrückt wurde, sagte mehrfach, dass er keine Luft bekomme. Letztlich bezahlte er mit dem Leben. In Hamburg lag das Knie des Beamten auf dem Kiefer auf, und der Mann konnte kurz darauf eigenständig mit den Einsatzkräften zum Polizeiauto laufen.
Bei der Hamburger Polizei stehen wohl keine weiteren Untersuchungen zu dem Fall an. Der Polizeisprecher teilt mit: "Es gibt nach den bisherigen Erkenntnissen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Überprüfung des Einschreitens im Rahmen von Ermittlungen erforderlich wäre."
*Name von der Redaktion geändert
- Telefonat mit Augenzeugen
- Anfrage bei der Polizei Hamburg