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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Ich werde es wieder tun" Aktivistin: 29 Stunden nur mit einem Müsliriegel in der Zelle
In Hamburg gehen Behörden rigoros gegen die "Letzte Generation" vor. t-online sprach mit einer Aktivistin, die gerade aus dem Gefängnis gekommen ist. Auch ihre Familie ist entsetzt.
Sophia Zach ist mit einer klaren Mission aus Bayern nach Hamburg gekommen. Innerhalb weniger Tage wollte sich die 20-jährige Physikstudentin an zwei Blockaden der "Letzten Generation" beteiligen. Das gelang ihr nur teilweise. Der Preis, den sie zahlte, waren sechs Tage in Polizeigewahrsam. "Was ich getan habe, habe ich nie in Zweifel gestellt. Ich werde und ich muss es wieder tun", sagt Sophia Zach t-online nur wenige Stunden nach ihrer Entlassung.
Das persönliche Treffen findet in einem Park oberhalb der Elbe statt. Von dort kann man am Dienstagnachmittag sehen, wie sich die Lkw auf der Köhlbrandbrücke stauen. Die wichtige Hafenzufahrt wird zu diesem Zeitpunkt von der "Letzten Generation" blockiert – wieder. Sophia Zach war in der Woche zuvor an einer Blockade beteiligt, eine weitere scheiterte, weil die Gruppe von der Polizei gestoppt und festgenommen wurde.
"Letzte Generation": Aus Haft entlassene Aktivistin spricht
Zuerst sei sie in einem Polizeirevier in Haft gewesen. "Das waren 29 Stunden ohne Tageslicht in einem kühlen Raum auf einer Holzpritsche mit einer dünnen Decke." Für Toilettengänge habe sie klopfen müssen, einen Pappbecher Wasser habe sie sich auffüllen lassen können. Die Veganerin bekam in der gesamten Zeit laut eigener Aussage einen Müsliriegel, der nicht vegan war – das war’s.
Seit Oktober 2022 hat sie sich an insgesamt zwölf Blockaden beteiligt, sagt Sophia Zach. Dass sie nun tagelang inhaftiert wurde, habe sie schockiert. "Damit habe ich nicht gerechnet. Kurz bevor ich bei der Haftrichterin war, wurden andere freigelassen, weil das Landgericht ihre Einsperrung gekippt hat." Man kann der jungen Frau die Strapazen der vergangenen Tage ansehen, aber auch ihre Entschlossenheit.
Aktivistin klagt an: "Kam in den Männertrakt, wo geraucht wurde"
Ein Sprecher der Hamburger Gerichte teilt auf Anfrage mit, dass sich die Fälle "in mehrfacher Hinsicht" unterscheiden würden. "Vor allem mit Blick auf den zeitlichen und räumlichen Abstand zurückliegender Blockadeaktionen." Das Gericht hielt es demnach für naheliegend, dass sich die Betroffene "nach dem Fehlschlagen der Aktion vom 29. März" an weiteren Aktionen beteiligen wolle. Sophia Zach streitet das ab.
Der Haftrichterin habe sie versichert, Hamburg zu verlassen und eine Protestpause einzulegen, doch ihr seien die Worte im Mund umgedreht worden. "Dabei ist es ein wichtiger Grundsatz unserer Bewegung, die Haftrichter nicht zu belügen und zu diesen Aussagen zu stehen", betont sie. Sie kam in die Untersuchungshaftanstalt, "in den Männertrakt, wo überall geraucht wurde".
In ihrer Einzelzelle musste sie 23 Stunden am Tag verbringen. Ihre Erlebnisse schildert sie so: Es gab dort ein Feldbett, Stifte und Papier zum Schreiben und Malen, auch ein Buch wurde ihr gegeben. Die wenigen Telefonate mussten von ihren Eltern "erkämpft" werden. Morgens: Tee oder heißes Wasser, nie ein richtiges Frühstück. In fünf Tagen durfte sie zweimal duschen, bekam eine Banane, aber keine Wechselklamotten, die sie bei ihrer Festnahme bei sich hatte. Ernährt habe sie sich von Brot und Margarine, weil sie Fisch mit Rahmspinat, Käse und Eier nicht essen wollte. "Die dachten, Veganer essen Fisch."
Die Hamburger Justizbehörde teilt auf Anfrage von t-online mit: "Sogenannte Polizeihaft-Gefangene werden in Hamburg generell unabhängig vom Geschlecht in der Untersuchungshaft untergebracht." Aufgrund von Fluktuation und Belegungsdruck in der Anstalt mit rund 490 Plätzen sei es nicht möglich, Nichtraucherräume vorzuhalten. Vegane Kost anzubieten sei nicht möglich, laut angehängtem Menüplan gibt es vegetarische Alternativen. Der Klamottenwechsel nach fast einer Woche scheiterte letztlich am Personal: Die "Habekammer" sei am Wochenende nicht besetzt und andere Anträge waren "vorrangig abzuarbeiten".
Familie reist aus dem Allgäu an, um Tochter zu holen
Als Sophia Zach am Dienstag vorzeitig nach einer Beschwerde entlassen wurde, warteten vor der Tür der Haftanstalt ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder auf sie. Sie seien am Sonntag nach Hamburg gefahren, erzählt Mutter Annette Zach t-online. Weil sie versichert hätten, mit ihrer Tochter aus Hamburg abzureisen, hätte sie früher gehen dürfen – eigentlich war die Haft bis 6. April angeordnet. "Ihr Foto war mit Falschinformationen schon in Zeitungen. Wir wollten sie nicht alleine lassen", sagt die Mutter. "Sophia war nie eine Gefahr für Leib oder Leben. Diese Haftbedingungen sind psychische Gewalt." Die Eltern stehen hinter der Tochter und sind fassungslos, wie mit Klimaaktivisten mittlerweile umgegangen werde.
"Erst war es ein Kindergartenprotest und jetzt sind es schon Terroristen oder eine Sekte", kritisiert Annette Zach die "emotional aufgeladene Rhetorik, die nur zum Verleumden dient". Ganz am Anfang sei die Mutter selbst noch nicht überzeugt von der Protestform der "Letzten Generation" gewesen. "Dann habe ich die Sache mit den Kipppunkten verstanden und dass wir wirklich schnell handeln müssen, wenn wir die Erde noch retten möchten."
Vater der Aktivistin: "Ich stehe voll dahinter"
Mittlerweile sei ihr klar: Es gebe keine andere, wirksame Möglichkeit, um die Aufmerksamkeit der Politik zu bekommen – auch wenn die Sorge um ihre Tochter groß sei, ihr Anliegen sei wichtiger. Vater Christian Zach sagt t-online: "Die 'Letzte Generation' ist immer friedlich, widersetzt sich nie. Ich stehe voll dahinter."
Sophia selbst zeigt Verständnis für Autofahrer, die immer ungehaltener auf Blockaden reagieren. "Wenn wegen eines Falschparkers ein Stau entsteht, ist da kein Schuldiger präsent. Wir sind auf der Straße sehr angreifbar und werden leicht zum Ziel von Ärger, Stress und Frust." Wichtig sei ihr, dass der Protest kein Angriff auf einzelne Autofahrer sei. "Mir tut es leid, wenn sie deswegen zu spät kommen. Aber es muss sein, um die Aufmerksamkeit der Politik zu bekommen, die auf nichts anderes reagiert."
Die 20-Jährige will sich von weiteren Repressionen nicht abschrecken lassen. "Mit jeder Person, die in Haft gesteckt wird, bekommen wir mehr Zulauf", zeigt sie sich überzeugt. "Natürlich haben wir extreme Kritiker, die wir nicht überzeugen werden. Aber es gibt eine breite Masse, die wir noch erreichen können mit unseren Forderungen." Über Ostern will sie Pause machen, Zeit mit dem Bruder verbringen und gut essen. Dann geht es weiter. "Ich bin froh über jede Blockade."
- Persönliches Treffen mit Familie Zach
- Anfrage an die Pressestelle des Hanseatischen Oberlandesgerichts
- Anfrage an die Hamburger Justizbehörde