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Dorfmark: Warum es Rechtsextreme in die niedersächsische Provinz zieht


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Völkische Siedlungen in der Heide
Bauernhäuser, Felder und Nazi-Ideologie


25.04.2023Lesedauer: 6 Min.
Die Demonstranten ziehen durch den Ort Dorfmark zwischen Hannover und Hamburg.Vergrößern des Bildes
Die Demonstranten ziehen durch den Ort Dorfmark zwischen Hannover und Hamburg. (Quelle: Jannis Große)

Seit Jahren trifft sich eine völkische Gruppe im niedersächsischen Dorfmark. Dass Veranstaltungen dieser Art dort in der Region stattfinden, ist kein Zufall.

Dorfmark im Heidekreis. Fachwerk, roter Klinker und klassische Bauernhäuser prägen den Charakter des 3.000-Einwohner-Ortes zwischen Hamburg und Hannover. Die Ruhe des Dorfes wird von Sprechchören der schwarz gekleideten Demonstrantinnen und Demonstranten durchbrochen. "Für die Freiheit, für das Leben: Nazis von der Straße fegen", schallt es durch die Straßen. Auf einem Transparent steht "Es gibt kein ruhiges Hinterland". Bereits das zweite Wochenende in Folge sind Antifaschisten aus Hamburg, Bremen und Hannover nach Dorfmark gekommen, um gegen den "Bund für Gotterkenntnis" zu demonstrieren. Mehr als 200 Demonstrierende waren es am Ostersonntag, gut 120 in der Woche darauf.

Das Weltbild der Ludendorffer

Seit den 1970er-Jahren fand jährlich in Dorfmark am Osterwochenende eine Tagung des "Bund für Gotterkenntnis" statt. Die Veranstaltungen bestünden aus Vorträgen zu "philosophischen, kulturellen und naturwissenschaftlichen Themen", schreiben die Veranstalter auf ihrer Webseite. Auch Volkstänze und Gesang in Trachten und ähnlicher Kleidung stehen auf der Tagesordnung, wie Aufnahmen zeigen.

Solche Treffen dienen aber auch der Vernetzung – und zwar mit Rechtsextremen. So haben in der Vergangenheit bereits die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck (Die Rechte) und der Rechtsaußen-Videoblogger Nikolai Nerling an den Tagungen teilgenommen. Recherchen des NDR zeigen, dass auf diesen Veranstaltungen auch die erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen wird. Teile der Tagungen sind wohl so geheim, dass nicht mal Servicepersonal stören dürfe, berichten Anwohner.

Grundlage der Gruppe ist antisemitische Ideologie

Der "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff)" bezieht sich auf die "Philosophie" Mathilde Ludendorffs – eine rassistische, antisemitische und völkische Ideologie. So schrieb Ludendorff 1939: "Des Juden religiöses Ziel ist [...] ein politisches: die Unterjochung und Enteignung aller Völker." Mathilde Ludendorff teilte die Menschen in "Licht- und Schachtrassen". Die "nordischen Lichtrassen" seien dabei dem "Göttlichen" näher. Das Christentum lehnen die Ludendorffer als "artfremd" ab.

Ihr Mann, der General Erich Ludendorff, führte 1923 mit Adolf Hitler den misslungenen Putschversuch in München an. Die Weltanschauungsgemeinschaft selbst behauptet heute, sie sei weder antisemitisch noch rassistisch – und inszeniert sich sogar als Verfolgte der NS-Diktatur. Der "Bund für Gotterkenntnis" stehe für die "Gleichberechtigung der verschiedenen Rassen und ihrer Völker".

Historisch könne die Gruppierung um das Ehepaar Ludendorff jedoch als weltanschauliche Konkurrenz zur NSDAP – innerhalb der völkischen Strömungen Deutschlands – betrachtet werden, heißt es in einer Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Der Verfassungsschutz beschreibt die Ludendorffer als "von Antisemitismus und Rassismus geprägte rechtsextremistische Organisation". In den Publikationen dieser völkischen Strömung zeige sich Antisemitismus als zentrales Ideologiemerkmal. Der niedersächsische Verfassungsschutz beobachtet laut dem Innenministerium den "Bund für Gotterkenntnis" und "die in Dorfmark alljährlich stattfindende Ostertagung im Rahmen der bundesweiten Beobachtung".

Die Ostertagung in Dorfmark

Seit 2007 gibt es Protest gegen die alljährlichen Treffen der Ludendorffer, seit 2017 die antifaschistischen Osterdemos im Ort. "Wir sind heute hier in Dorfmark, um gegen die völkischen, antisemitischen und rassistischen Ludendorffer zu demonstrieren", heißt es in einer Rede der "Autonomen Antifa SFA".

Und auch im Dorf gibt es Widerstand. "Uns ist es total wichtig, sich gegen die Ludendorffer einzustellen, weil sie Gedankengut verbreiten, was die Menschen trennt und was rassistisch ist", sagt Cosima von Schultzendorff, die mit ihrer Familie auf dem Meutehof in Dorfmark lebt. An der Scheune des Reiterhofs hängt ein weißes Transparent: "Wir wollen keine Ludendorffer". Die Differenzierung von "Untermenschen" sei es, was sie störe, ergänzt ihr Ehemann Egbert von Schultzendorff.

Lokale Gastwirtschaften profitierten von völkischer Gruppe

Früher hätten die Gastronomie und die privaten Unterkünfte im Ort durch die 200 bis 300 Ludendorffer in der Woche vor Ostern große Vorteile gehabt, berichtet er. "Uns hat es sehr viel Mühe und Kraft gekostet, das Deutsche Haus davon abzubringen, die Ludendorffer zu beherbergen", ergänzt von Schultzendorff. "Die Gastwirte hier im Dorf sagen, die Ludendorffer seien doch ganz friedlich, aber die Antifa mache Terror hier", sagt Cosima von Schultzendorff.

Das Grab von Erich von Manstein, einem verurteilten NS-Kriegsverbrecher, soll Anlaufpunkt der Ludendorffer in Dorfmark sein. Cosima von Schultzendorff habe bei der Grabstätte ein Schild aufgestellt, dass Ludendorffer nicht willkommen sind, erzählt sie t-online. Erich von Manstein ist ihr angeheirateter Onkel. Sie wolle nicht unbedingt mit der Antifa laufen, fände es aber gut, dass Menschen zum Demonstrieren nach Dorfmark kommen – solange sie keine Gewalt anwenden. Früher seien die Ludendorffer in ihren Gewändern auch im Dorf spazieren gegangen. "Das trauen sie sich jetzt nicht mehr", berichtet Frau von Schultzendorff.

"Arbeiten seit 2007 daran, dass sie nicht mehr hier herkommen"

Wegen der Corona-Pandemie fiel die Ostertagung in den vergangenen drei Jahren aus. Und auch in diesem Jahr scheint das Treffen zumindest nicht in Dorfmark stattzufinden. Die Gaststätte "Zur Post", in der sich die Ludendorffer 2019 zuletzt getroffen hatten, wirkt leer. Die Fenster sind verdeckt, nur in einem Raum brennt Licht. Auf Nachfrage, ob hier eine Veranstaltung stattfinden werde, gibt es von einer Person der Gaststätte keine Antwort. Stattdessen wendet sich die Frau an die Polizei, um sicherzustellen, dass die Demonstranten nicht das Grundstück betreten.

Die Polizeiinspektion Heidekreis habe polizeiliche Erkenntnisse gehabt, "dass die Mitglieder des 'Bundes für Gotterkenntnis' das Oster- sowie das Folgewochenende nicht in Dorfmark verbringen würden", heißt es auf Nachfrage von t-online. Ob die Behörde Kenntnisse über ein Treffen zu einem anderen Zeitpunkt oder an einem anderen Ort hat, darüber wollte die Polizei keine Auskunft geben. Die Demonstranten werten das Ausbleiben des Treffens als Erfolg. "Wir arbeiten seit 2007 daran, dass sie nicht mehr hier herkommen", sagt Noah, der den Protest mitorganisiert und lieber anonym bleiben will.

Viele Gruppen völkischer Siedler in der Heide

Auch wenn der antifaschistische Protest die Ludendorffer aus Dorfmark vertreiben konnte, sind diese bei Weitem nicht die einzigen rechten Akteure im Hinterland zwischen Hamburg und Hannover. Der niedersächsische Verfassungsschutz zählt den "Bund für Gotterkenntnis" zusammen mit der "Anastasia-Bewegung" und der verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" zum Sammelbeobachtungsobjekt "Völkische Personenzusammenschlüsse / Völkische Siedler in Niedersachsen".

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Gerade in der Lüneburger Heide und dem Wendland haben sich die völkischen Siedler in den letzten Jahren ausgebreitet. "Die Landkreise Lüchow-Dannenberg, Lüneburg und Uelzen sind Schwerpunktregionen für völkisch orientierte Familien in Niedersachsen", schrieb das niedersächsische Innenministerium 2021 auf Anfrage der Grünen. Genaue Zahlen gibt es keine. Getarnt als nette Nachbarn, die als junge Familien in überalterte Gemeinden ziehen, fallen sie vielen Anwohnern gar nicht groß auf.

"Sie sehen aus wie alternative Aussteiger, sind in regionalen Bio- und Ökoproduktnetzwerken aktiv, üben alte und oft seltene Handwerke aus", schreiben die beiden Fachjournalistinnen Andrea Röpke und Andreas Speit in ihrem Buch "Völkische Landnahme". Laut Verfassungsschutz Niedersachsen sind völkische Siedler "gefestigte Rechtsextremisten". Sie würden sich an der von den Nationalsozialisten propagierten Volksgemeinschaft orientieren und die "Blut-und-Boden-Ideologie" idealisieren.

Lüneburger Region hat entscheidende Vorteile für Rechte

Völkische Siedler gibt es in ganz Deutschland im ländlichen Raum. Die Region um die Lüneburger Heide ist aus zwei Gründen für die Rechten interessant, sagte Sozialwissenschaftler Dierck Borstel von der Fachhochschule Dortmund zu "Spiegel TV". Einerseits ist sie dünn besiedelt und bietet dadurch gute Bedingungen für die Siedlungspolitik der Völkischen. Gleichzeitig hatte die Heide auch in der NS-Zeit eine gewisse Bedeutung. "Schon die NSDAP hatte dort einen ihrer Schwerpunkte", sagte Borstel in dem Beitrag.

Auch das ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen liegt in der Region, nur 18 Kilometer von Dorfmark entfernt. Im Umfeld das ehemalige KZ "marschierten jahrelang Anhänger aus den Reihen von Wiking-Jugend oder ähnlichen Gruppen auf", schreiben Röpke und Speit in ihrem Buch. Im August letzten Jahres veranstaltete der rechtsextreme Jugendverband "Sturmvogel" ein Ferienlager auf dem Immenhof in Bispingen, Landkreis Heidekreis. "Diese Sonnenwendfeiern, Fahrten, Lager, Wanderungen, Theater- und Tanzveranstaltungen sind Teil einer umfänglichen völkischen Brauchtums- und Gemeinschaftspflege und finden regelmäßig jedes Jahr im gesamten Bundesgebiet statt", schreibt das niedersächsische Innenministerium.

NPD baut Bauernhof zu Gemeinschaftszentrum um

Auch neonazistische Gruppen wie die NPD und ihre Jugendorganisation JN nutzen das Hinterland. In Eschede, gut 40 Kilometer östlich von Dorfmark, baut die NPD seit einigen Jahren einen Bauernhof zum rechtsextremen Zentrum um. Regelmäßig finden dort Sonnenwendfeiern und Erntefeste statt, zu denen zahlreiche Neonazis anreisen. Auch gegen den "Hof Nahtz" gibt es immer wieder Protest. So wie am 19. Juni 2021, als gut 250 Demonstranten gegen eine vermeintliche Sonnwendfeier demonstrierten. Neben einem Block von Antifa-Gruppen kamen auch Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Kirchenmitglieder.

Noah aus dem Orgakreis der Dorfmark-Demo betont, wie wichtig solches Engagement im Hinterland sei. "Junge Menschen sind auf der Suche nach Anschluss", sagt Noah. Wenn dann das einzige Kulturangebot "Saufen und Böhse Onkelz hören" ist, müsse man sich nicht wundern, "dass ganze Landstriche braun sind". Cosima von Schultzendorff berichtet, dass eine afghanische Familie – ihre ehemaligen Mieter in Walsrode – von Unbekannten terrorisiert wurde. Die Scheiben des Wohnzimmers und des Autos seien eingeschlagen worden; installierte Kameras hätten Vermummte aufgezeichnet. Und auch ihr Plakat gegen die Ludendorffer in Dorfmark hätten Unbekannte schon versucht abzureißen – mitten am Tag, wie von Schultzendorff sagt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Begleitung der Demonstrationen in Dorfmark (2023) und Eschede (2021)
  • ifdem.de: Institut für Demokratieforschung, Göttingen: "Rechtsradikalismus in Niedersachsen"
  • landtag-niedersachsen.de: Kleine Anfrage an das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport, Drucksache 18/10135
  • mi.niedersachsen.de: Niedersächsischer Verfassungsschutzbericht 2021
  • taz.de: "Wo Kinder fürs rechte Leben lernen"
  • spiegel.de: "'Völkische Siedler' in der norddeutschen Heide" (Spiegel TV)
  • blog.zeit.de: "Neonazi-Gruppe 'Kollektiv Nordharz' löst sich auf"
  • taz.de: "Bauernhof wird rechtsextremes Zentrum"
  • boell-bw.de: "Das Ludendorff-Netzwerk in Baden-Württemberg"
  • ndr.de: "Gefährliche Ideologie: Völkisches Netzwerk im Norden"
  • celler-presse.de: "NPD Hof Nahtz in Eschede – Nur eine Randnotiz?"
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