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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hamburgs neuer Polizeipräsident "Wir appellieren an die Vernunft"
An Silvester könnte es wieder Krawalle in den Großstädten geben: Der neue Polizeichef aus Hamburg hält aber nicht allzu viel von weiteren Verboten.
Nach fast zehn Jahren hat die Hamburger Polizei einen neuen Chef: Falk Schnabel. Der neue Mann an der Spitze kam im November aus Köln in den Norden. Im Interview mit t-online gibt er preis, wie sicher er sich selbst am Hauptbahnhof fühlt. Und er erklärt, warum die Polizei dort nicht allein erfolgreich sein kann. Nach Krawallen an Halloween brauche es in der bevorstehenden Silvesternacht eine flexible Einsatztruppe, gibt Schnabel die Marschrichtung vor. Weitere Böllerverbotszonen lehnt er ab.
t-online: Herr Schnabel: "Große Haie, kleine Fische", wie geht es weiter?
Falk Schnabel: Ich habe mich auf viele Fragen vorbereitet. Auf die jetzt ehrlicherweise nicht.
Das ist aus dem Titellied der TV-Serie "Großstadtrevier". Weiter geht es mit: "Viel Licht, viel Schatten." Wie viel haben Sie davon in Ihren ersten Wochen im neuen Job mitbekommen?
In der Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen gab es ganz viel helles, klares Licht. Sie haben mich sehr bei meiner Einarbeitung unterstützt. Schatten gab es aber auch. Schon am ersten Wochenende war die Geiselnahme am Flughafen. Ich habe so eine Situation zum ersten Mal erlebt. Es hat mich vor allem beeindruckt, wie einfühlsam und am Ende erfolgreich mit dem Tatverdächtigen verhandelt worden ist.
Mit der Bedrohungslage an der Schule in Blankenese ging es dann zwei Tage später schon weiter.
Bei diesen herausfordernden Einsätzen sind zunächst die Kollegen vor Ort gefordert. Unsere sehr erfahrenen Polizeiführer haben diese Lagen souverän gemeistert. An diesen Beispielen konnte ich gut sehen: Die Polizei Hamburg ist unglaublich einsatzbereit und hochprofessionell auch für solche Situationen aufgestellt.
Und wie sieht es mit den Sehenswürdigkeiten aus?
Ich habe natürlich, bevor ich hier angefangen habe, das volle Programm mitgemacht: Hafenrundfahrt, Besichtigung der Elphi, der Michel.
Waren Sie auch schon am Hauptbahnhof?
Den Hauptbahnhof kenne ich, weil ich da schon im Referendariat häufig angekommen bin. Ich habe mir inzwischen auch die Situation rund um den Hauptbahnhof und beim "Drob Inn" in St. Georg (Anm. d. Red.: Drogenkonsumraum) angeschaut. Um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen, bin ich auch mehrfach spätabends dort gewesen.
Und wie ging es Ihnen dort?
Ich habe Verständnis dafür, dass man sich dort unwohl fühlen kann, gerade, wenn man vielleicht als Frau, als älterer Mensch oder auch als Ortsfremder im Dunkeln allein unterwegs ist. Nach meinem subjektiven und noch sehr frischen Eindruck unterscheidet sich der Hamburger Hauptbahnhof mit den prekären Lebenslagen beim "Drob Inn" aber nicht wesentlich von vergleichbaren Lagen in Köln oder auch in Düsseldorf, wo ich vorher gearbeitet habe.
Was mir hier aufgefallen ist, ist die Konzentration von Obdachlosen und Suchtkranken an einem Ort, wo man sie erreichen und auch Hilfen anbieten kann. Als Polizei können wir die Probleme nicht alleine lösen, sondern müssen mit unseren Partnern aus dem sozialen Bereich kooperieren. In anderen Städten, wo diese Personengruppen weiträumiger auf das Stadtgebiet verteilt sind, geht das deutlich schwerer.
Zur Person
Falk Schnabel wurde 1969 im baden-württembergischen Tübingen geboren, wuchs aber in Hessen und NRW auf. Nach einer Bankausbildung studierte er Jura in Bielefeld, wo er 2001 als Staatsanwalt begann. Später war er Ministerialrat im Justiz- und Gesundheitsministerium von NRW. Nach Stationen in Hamm und Düsseldorf als Leiter der Staatsanwaltschaften wurde er 2020 Polizeipräsident in Münster, eher er 2020 das gleiche Amt in Köln übernahm. Seit dem 2. November 2023 ist er Polizeichef in Hamburg. Schnabel ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Die Streifen am Hauptbahnhof wurden schon aufgestockt, die Videoüberwachung wird ausgebaut, Waffen- und Alkoholverbote werden ausgesprochen. Was kann die Polizei noch tun, um das Sicherheitsgefühl zu verbessern?
Ein wichtiger Effekt der "Allianz sicherer Hauptbahnhof" ist, dass durch die verstärkte Präsenz am Hauptbahnhof das Dunkelfeld aufgehellt wird, also mehr Straftaten als vorher registriert werden. Der statistische Anstieg bedeutet daher nicht zwingend, dass dort plötzlich mehr Straftaten begangen wurden. Wir bekommen vielmehr ein viel klareres Bild von der Lage. Auch mit der Waffenverbotszone sind nicht automatisch alle Waffen verschwunden, aber sie ermöglicht es uns, mehr zu kontrollieren und gefährliche Gegenstände sicherzustellen. Das war vorher so nicht möglich. Das hilft nicht nur Reisenden oder Pendlern, sondern eben auch Personen in prekären Lebenslagen, die sich am Hauptbahnhof aufhalten. Auch Obdachlose und Süchtige haben ein Recht auf Sicherheit.
Beim "Drob Inn" wird das Agieren der Polizei nicht unkritisch gesehen.
Als Polizei wollen wir Maßnahmen der Sozialbehörde, des "Drob Inn" oder anderer karitativer Organisationen nicht torpedieren. Im Gegenteil: Wir sind darauf angewiesen, dass wir aufeinander abgestimmt vorgehen. Die Polizei hat den gesetzlichen Auftrag, Gefahren abzuwenden und Kriminalität zu verfolgen. Wegschauen ist keine Alternative. Uns ist aber klar, dass die Menschen, die wir mit polizeilichen Maßnahmen belegen müssen, in Lebenslagen mit besonderen Problematiken sind. Eine dauerhafte Verbesserung lässt sich also nur erreichen, wenn sich die Lebenssituation der Obdachlosen und Suchtkranken ändert. Die Polizei will diesen Prozess unterstützen, spielt dabei aber eher eine Nebenrolle.
In Hamburg ist auch Gewalt an Silvester oder Halloween ein Problem. Was ist der Plan für den bevorstehenden Jahreswechsel?
Wir werden mit starken Kräften im Stadtgebiet unterwegs sein. Es wird die bekannte Böllerverbotszone rund um die Binnenalster und am Rathausmarkt geben, das ist notwendig. Ich bin aber froh, dass wir nicht noch weitere Böllerverbotszonen haben. Denn: Diese Zonen binden eine Menge polizeilicher Kräfte, um das Verbot zu überwachen. Wir wissen aber nicht, ob und wenn ja, wo es anderswo in Hamburg möglicherweise zu Krawallen kommt, bei denen die Kräfte dann kurzfristig gebraucht werden. Neben einer ausreichenden Personalstärke brauchen wir also auch Flexibilität für diese Nacht. Wir werden uns dementsprechend aufstellen.
An Halloween und Silvester sind es vor allem junge Männer, die die Polizei beschäftigen. Wie kann man diese Gruppe vorher besser erreichen, damit es gar nicht erst zu Krawallen kommt?
Junge Menschen sollten schon vor Silvester über die Gefahren, die von illegalen Böllern gerade für sie selbst ausgehen können, gut aufgeklärt werden. Da arbeiten wir mit der Feuerwehr zusammen. Es muss aber auch rechtlich klar sein, was geht und was nicht geht. Wir gehen deshalb schon jetzt mit unseren Jugendschützern auf die jungen Menschen zu und sprechen mit ihnen. Es geht bei diesen Sensibilisierungsgesprächen auch darum deutlich zu machen, dass Strafanzeigen sehr negative und langfristige Konsequenzen haben können. Wir appellieren an die Vernunft.
Nach Krawallnächten kocht die gesellschaftliche, politische und mediale Stimmung schnell hoch. Ist das gerechtfertigt?
Richtig ist, es gab unschöne Szenen an Halloween in Harburg. Da haben sich ein paar Hundert junge Leute zusammengerottet, es wurden Feuerwerkskörper auf Einsatzkräfte geworfen. Taten, die konsequent verfolgt werden müssen. Ich finde es schlimm, dass jetzt zum Beispiel die Kolleginnen und Kollegen von der Feuerwehr mit speziellen Folien ihre Fahrzeuge schützen müssen, um nicht selbst in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Mir ist aber wichtig, dass das kein Hamburg-spezifisches Problem ist, sondern eine Entwicklung bei Jugendgruppen zu sein scheint. Tumulte und Randale sind Symptome und sollten so auch richtig eingeordnet werden. Worüber wir uns Gedanken machen sollten, ist, was die Gründe für dieses abweichendes Verhalten sind.
Wie meinen Sie das?
Bei den vielen Tausend Menschen, die sowohl an Halloween als auch an Silvester unterwegs sind, reden wir über einen überschaubaren Kreis junger Menschen, die sich überwiegend spontan zusammenrotten. Dass der Rechtsstaat deswegen am Ende ist oder sich nicht mehr durchsetzen kann, ist falsch. Es gab letztes Silvester sicher herausfordernde Lagen, insbesondere in Berlin, aber keine gänzlich außer Kontrolle geratene Situationen. Mir ist das Gesamtbild wichtiger als einzelne Bilder oder Schlagzeilen.
Ihr Vorgänger Ralf Martin Meyer war Polizist durch und durch, hat sich in der Hierarchie bis nach ganz oben gearbeitet. Sie waren bis 2020 in der Justiz. Was sagen diese zwei sehr unterschiedlichen Karrierewege über Unterschiede zwischen Ihnen beiden aus?
Ich kann das sicher nicht beurteilen. Ralf Martin Meyer hat die Polizei Hamburg über neun Jahre lang geführt, war mehr als 40 Jahre im Polizeidienst und hat aufgrund dessen einen unfassbaren Erfahrungsschatz. Das kann ich natürlich nicht im Ansatz aufweisen. Ich bringe meine Expertise ein, meine Erfahrungen aus der Leitung von zwei Polizeipräsidien, als Leiter einer Staatsanwaltschaft und aus dem Bereich der psychiatrischen und forensischen Kliniken. Ansonsten werde ich in erster Linie ganz, ganz viel lernen. Ich stand mit Ralf Martin Meyer schon vor meinem Amtsantritt hier in gutem Kontakt und möchte diesen Kontakt auch weiter pflegen und werde ihn sicherlich das eine oder andere Mal auch um Rat bitten.
Man kann sich auch nicht einfach so auf die Stelle eines Polizeipräsidenten bewerben. Es gehörte wohl auch etwas Glück dazu.
Falk Schnabel
Münster, Köln, jetzt Hamburg: Immer größer werdende Polizeibehörden in einer ziemlich kurzen Zeit sprechen für eine steile Karriere. Auf welchen Führungsstil müssen sich die Kollegen bei der Polizei Hamburg einstellen?
Dahinter steckte kein Karriereplan und man kann sich auch nicht einfach so auf die Stelle eines Polizeipräsidenten bewerben. Es gehörte wohl auch etwas Glück dazu. Die Arbeit in Münster, Köln und Hamburg ist schon sehr unterschiedlich. Münster war vergleichsweise überschaubar, da war der unmittelbare Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen im Einsatz enger. Das ist hier nicht so einfach möglich. Ich versuche immer, im Team zu arbeiten. Gerade wenn man wie ich jetzt hier neu in einer so großen Organisation ist, wäre es völlig verkehrt, alles alleine entscheiden zu wollen. Ich glaube, ich mache meine Arbeit dann richtig, wenn ich mich viel austausche und zuhöre. Und Polizeiarbeit kann nicht nur vom Schreibtisch aus gelernt werden. Dafür muss ich das Büro auch mal verlassen.
Bald ist Weihnachten. Nehmen wir mal an, der Innensenator schenkt Ihnen 100 neue Stellen, ganz nach Ihren Vorstellungen. Was wünschen Sie sich?
Als Erstes würde ich mich mit dem Vizepräsidenten und meinem engsten Führungskreis austauschen, wo die dringendsten Bedarfe bestehen. Es wäre schön, wenn unter den 100 neuen Kolleginnen und Kollegen einige gut ausgebildete IT-Experten sind, wenn darunter auch Leute sind, die im LKA erfahrene Kriminalisten von Verwaltungsaufgaben entlasten, damit die sich voll auf ihre Ermittlungen konzentrieren können. Im Bereich der Schutzpolizei brauchen wir vor allem Kräfte, die im Objektschutz unterstützen. Ich glaube, dann wären die 100 Stellen auch schon aufgebraucht.
- Persönliches Interview mit Falk Schnabel im Polizeipräsidium Hamburg