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Billstraße in Hamburg: Stadt plant radikale Kehrtwende nach Großbrand


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Zustände in der Billstraße
"Da wurde zu lange nicht genug hingeschaut"


15.04.2024Lesedauer: 4 Min.
imago images 0242764902Vergrößern des Bildes
Ausgebrannte Lagerhallen in der Billstraße (Archivbild): Ein Großbrand zerstörte am 9. April 2023 ein rund 17.000 Quadratmeter großes Areal. (Quelle: IMAGO/Joerg Boethling/imago)

In der Hamburger Billstraße wird aufgeräumt. Nach dem verheerenden Großbrand plant die Stadt eine radikale Kehrtwende für das Gebiet.

An einem Tag im März scheint in der Billstraße auf den ersten Blick alles gewöhnlich. Weiße Transporter liefern gebrauchte Waschmaschinen an, Händler sitzen auf Stühlen vor ihren Läden und warten auf Kundschaft, Frauen mit Kopftuch tragen Einkäufe in Plastiktüten nach Hause.

Auf einem riesigen Gelände mittendrin tragen Bagger Bauschutt ab. Am Ostersonntag vor einem Jahr hatte ein brennender Mercedes hier einen Großbrand ausgelöst, der einen rund 17.000 Quadratmeter großen Lagerhallen-Komplex zerstörte. Die Feuerwehr war mit insgesamt über 1600 Einsatzkräften eine Woche lang beschäftigt, das Feuer zu löschen. Sie spricht von dem "herausforderndsten Einsatz seit Jahrzehnten in Hamburg".

In der Billstraße stehen große Veränderungen an

Zwei Händler, ihren Namen wollen sie nicht nennen, schauen den Baggern bei der Arbeit zu und unterhalten sich. Einer klagt über fehlende Kundschaft. Der schlechte Ruf der Straße mache ihm das Geschäft kaputt. Der andere hat bereits alles verloren. Sein riesiges Antiquitätengeschäft brannte bis auf die Grundmauern ab. Jetzt, ein Jahr später, möchte er wieder einen kleinen Laden eröffnen. Auch in der Billstraße? Er schüttelt den Kopf. "Auf gar keinen Fall."

Die Entscheidung wird er nicht bereuen. Denn die Stadt möchte die Billstraße wieder in ein klassisches Industriegebiet umwandeln, in der nur Betriebe mit einem gewissen "Störpotenzial" zulässig sind. Einzelhändler gehören nicht dazu. Das sei ein wichtiger Baustein zur Umsetzung seiner industriepolitischen Ziele, schreibt die Stadt in seinem "Zielbild Billstraße 2030", das seit dem Jahr 2019 erarbeitet wurde.

Bezirksamt richtet nach dem Großbrand Task-Force ein

Um dem Ziel näherzukommen, setzt das zuständige Bezirksamt Mitte verstärkt auf Kontrollen. Wenige Wochen nach dem Großbrand gründete es eine Task-Force, die sogenannte "Verbundeinsätze" plant, bei denen verschiedene Behörden gemeinsam Kontrollen durchführen. "Die Zustände in Teilen der Billstraße sind für uns nicht hinnehmbar", sagte Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer damals.

Eines der größten Probleme sieht die Stadt darin, dass Brandschutzbestimmungen nicht eingehalten werden. "Wenn auf engstem Raum Waschmaschinen und Kühlschränke übereinander gelagert werden, ist das brandgefährlich", sagt Neubauer im Interview mit t-online. "Das haben wir beim Großbrand gesehen. Es brennt ein Auto und in kürzester Zeit entsteht der größte Großbrand nach dem Zweiten Weltkrieg."

"Wir haben eine hohe Zahl schwarzer Schafe aussortiert"

Bei den Kontrollen hatte die Task-Force zudem eine große Zahl an illegalen Wohnunterkünften entdeckt. "Menschen waren in Büroräumen oder Ähnlichem untergebracht. Da gab es keinen zweiten Rettungsweg. Wenn es da gebrannt hätte, wäre keiner lebend rausgekommen", sagt Neubauer.

Innerhalb eines Jahres hat die Task-Force fünf Verbundeinsätze nach dem Großbrand durchgeführt. Die Bilanz: Sechs gastronomische Betriebe und 17 illegale Wohnunterkünfte wurden geschlossen. Einzelne Verkaufsstellen des Einzelhandels wurden zurückgebaut oder bereits gänzlich abgerissen. "Man kann in dem einen Jahr schon eine wesentliche Veränderung der Billstraße feststellen", sagt Joscha Heinrich, der die Einsätze koordiniert, t-online. "Es ist definitiv ruhiger und ordentlicher geworden. Wir haben eine hohe Zahl schwarzer Schafe aussortiert."

Neubauer: "Jetzt schauen wir genau hin"

Die Zustände in der Straße waren jahrelang geduldet worden. Händler vor Ort erzählen, dass sie vor dem Großbrand praktisch nie kontrolliert wurden. Warum lange nichts passiert ist? "Da haben viele zu lange nicht genug hingeschaut", sagt Bezirksamtsleiter Neubauer. "Aber jetzt schauen wir ja genau hin." Das Feuer sei auch ein Brandbeschleuniger für die Arbeit an den Zielen gewesen. "Dadurch ist noch einmal das Bewusstsein gewachsen, dass man jetzt dringend etwas tun muss. Unsere Ziele gehen wir jetzt noch energischer an als zuvor."

Um die Billstraße wieder als Industriestandort nutzen zu können, will die Stadt stärker in den Grundstücksmarkt eingreifen. Bei Eigentümern, die sich nicht an Regeln halten und verkaufen wollen, kann die Stadt ihr Vorkaufsrecht ausüben. Das Problem sei häufig: Eine illegale Nutzung wird untersagt, dann aber wird das Grundstück verkauft und die nächste illegale Nutzung beginnt. Dem wolle man versuchen, einen Riegel vorzuschieben, so Neubauer. "Den ersten Anwendungsfall haben wir gerade in den Fängen."

Im Fokus der Behörde stehen dabei Händler, die gebrauchte oder defekte "weiße Ware", also Kühlschränke und Waschmaschinen, ins Ausland exportieren. "Diese Geschäftsmodelle, wie sie in der Billstraße konkret betrieben werden, wollen wir in unserer Stadt nicht unterstützen. Da gehen wir auch entschieden gegen vor", sagt Neubauer.

Einzelhändler wollen Basar auf Fläche von drei Fußballfeldern

Kooperativer will die Stadt mit Einzelhändlern umgehen, "also ordentlichen Leuten, die ihr Gewerbe angemeldet haben und Steuern zahlen", so Neubauer. "Diesen Menschen versuchen wir zu helfen und gucken, wo man die an anderer Stelle, außerhalb des Industriegebiets, unterbringen kann. Da sind wir in Gesprächen."

60 Einzelhändler haben bereits ihren Flächenbedarf beim Bezirksamt angemeldet. Das Ergebnis: Eine Gesamtfläche von 20.000 bis 25.000 Quadratmetern, umgerechnet etwa drei Fußballfelder wird benötigt. "Da muss man noch mal ein bisschen nach unten schrauben. Für eine Stadt wie Hamburg ist das eine echte Hausnummer."

Die Einzelhändler stellen sich einen großen Basar, wie das Dong Xuan Center in Berlin-Lichtenberg oder 'De Bazaar' in Beverwijk in den Niederlanden vor. "Wir finden die Idee super und gucken mal, ob wir sie dabei unterstützen können", sagt Neubauer. Die zuständigen Stellen würden momentan sichten, welche Flächen dafür in Frage kämen.

"Die Einzelhändler sind gut beraten, sich jetzt auf Alternativen einzulassen. Die Billstraße als Standort ist buchstäblich verbrannt."

Verwendete Quellen
  • Besuch vor Ort
  • Interview mit Ralf Neubauer und Joscha Heinrich
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