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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Philipp Büttner als "Hercules" Vom belächelten Jungen zum strahlenden Helden
Seit einem Monat spielt Philipp Büttner die Hauptrolle im Disney-Musical "Hercules". T-online begleitet ihn vor der Show und erfährt zwischen Bademantel und Bühnenrundgang, wie hart der Weg zum Erfolg wirklich war.
Es ist 18 Uhr und Philipp Büttner bestellt eine Backkartoffel mit Blumenkohl und Kräuterdip. Noch eineinhalb Stunden Zeit hat er, bis er im Hamburger Stage Theater als "Hercules" auf der Bühne stehen wird. Gottesgleich sieht der 33-Jährige allerdings noch nicht aus: Auf seiner verwaschenen Jeans prangt ein riesiger Fleck. "Vom Spülen", entschuldigt sich Büttner, während er mit dem Teller in der Hand zu einem der verwaisten Tische schlendert. So kurz vor Show-Beginn ist in der Kantine kaum etwas los.
Rund einen Monat ist Büttners "Hercules"-Premiere inzwischen her. Die Welt-Ur-Aufführung des Disney-Musicals fand in Hamburg bereits im März statt – doch weil der ursprüngliche Hauptdarsteller nach nur wenigen Wochen ging, musste eine Neubesetzung her. "Als ich im Mai die Casting-Ausschreibung gesehen habe, war mir sofort klar: Ich will Hercules werden", erzählt der studierte Musical-Darsteller. Drei Vorsprech-Runden und einen langersehnten Telefonanruf später hatte er den Job.
"Habe mir selbst schon Druck gemacht"
In den darauffolgenden vier Wochen stellte sich Büttner vor eine wortwörtliche Herkulesaufgabe: "Ich habe einen Personal-Trainer engagiert und in jeder freien Minute Sport gemacht. Das hat niemand eingefordert, aber wenn ich einen Gott spiele, möchte ich nicht wie eine Bohnenstange auf der Bühne stehen. Da habe ich mir selbst schon Druck gemacht", sagt Büttner.
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Seit er "Hercules" ist, sind Protein-Bowls, Kalorienzählen und Fitnesseinheiten an der Tagesordnung. Belohnt wird die Tortur mit einem athletischen Körper und klar definierten Bauchmuskeln. Gerade als der dunkelhaarige Schauspieler das letzte bisschen Kartoffel von seinem Teller kratzt, ertönt durch einen Lautsprecher an der Decke eine strenge Stimme: Zeit für die Maske.
Weitermachen oder Hinschmeißen?
Graue Gänge, kalte Beleuchtung, miefiger Geruch. Erst hinter den massiven Türen ist für die Sinne erkennbar, dass man sich in einer Theaterwelt befindet. Im Hoheitsgebiet der Maskenbildner nimmt Büttner Platz – wenn auch nur für wenige Minuten. Zwischen unzähligen Perücken, chaotischen Schminktischen und schillernder Theaterfarbe klebt ein Mitarbeiter dem Hauptdarsteller ein Mikrofon an die Stirn. Sein Make-Up wird sich Büttner später selbst auftragen. In einer ganz und gar ungöttlichen Garderobe.
Bevor es dort hingeht, ein Blick hinter die Bühne, die noch ganz still daliegt. Eine Taverne, weiß-goldene Gewänder, Sandalen, Vasen, Karren, eine Plastik-Kuh. Das plastische Eintauchen in die vergangenen Zeiten Griechenlands verleitet Büttner dazu, sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern. "Ich singe, seit ich vier Jahre alt bin. Keine Ahnung, woher das kam – meine Familie hatte eigentlich nichts mit Musik am Hut". Doch der kleine Würzburger Bub trällerte von früh bis spät. Auch das Tanzen bereitete ihm große Freude. Die anderen Kinder jedoch machten sich über ihn lustig. ‚Philipp macht Mädchensachen‘.
Von den Hänseleien lässt sich der Junge nicht unterkriegen. "Ich habe es so geliebt! Also habe ich begonnen, Gesangsunterricht zu nehmen. Ich wusste: Ich werde Musical-Darsteller – einen Plan B gab es nicht". Während die Gleichaltrigen ihn belächelten, hatten die Eltern schon immer Vertrauen in ihr Kind. Sie unterstützen ihren Sohn, wo es möglich war. Waren die finanziellen Mittel erschöpft, fand Büttner neue Wege, um seinen großen Traum weiterzuverfolgen. Seine Ballettstunden finanzierte sich der damals 17-Jährige durch das Austragen von Zeitungen.
Zwischen Menschlichkeit und Göttlichem
Noch 15 Minuten bis zur Show. Schnell in Büttners "vier Wände". Klein ist es dort, beinahe karg. Sofa, Schminktisch, Waschnische. Socken und eine Unterhose liegen zusammengeknüllt auf dem Boden. Büttner schlüpft in einen grauen XXL-Bademantel und beginnt, sich zu schminken. Dezent ist das Make-Up, nur ein wenig Puder hier und ein bisschen Foundation dort. Auf dem Schminktisch finden sich auch persönliche Habseligkeiten, darunter ein griechisches Olivenöl sowie ein selbstgemaltes Bild. Beides hat er zur Premiere geschenkt bekommen.
Für den 33-Jährigen ist "Hercules" bereits die zweite Rolle in einem Disney-Musical – zuvor verkörperte er "Aladin". An die einprägsame Zeit erinnert eine kleine tätowierte Wunderlampe an seinem linken Unterarm. Lampenfieber hat Büttner nach zwölf Jahren auf der Bühne aber nicht mehr: "Es macht mir einfach nur unglaublichen Spaß". Richtig nervös wird er aber, wenn es zum Casting geht: "Das Vorsingen ist jedes Mal ein einziger Albtraum. Wenn ich diese Anspannung vor jeder Show hätte, könnte ich den Job gar nicht machen."
Klopf, klopf an der Garderobentür. Herein gewirbelt kommt freudestrahlend Mae Ann Jorolan, die Hauptdarstellerin. Sie trägt bereits ihr lilafarbenes Bühnenoutfit, ein Kleid, in der Hand hält sie farblich passende Schnürstiefel. Ein kurzes Gespräch, eine herzliche Umarmung, die Tür schließt sich wieder. "Wir sind hier wie eine große Familie. Mae kenne ich schon lange."
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Es ist 19.30 Uhr, Showtime. Der Vorhang geht auf. Strahlend schön, in Gold und Weiß gehüllt, schreitet Philipp Büttner unter heroischen Orchester-Klängen auf die Bühne. Er singt und tanzt, wie er es achtmal in jeder Woche macht und versprüht trotz der Anstrengungen eine mitreißende, positive Leichtigkeit, die das Publikum später mit Standing Ovations belohnen wird.
Im zweiten Akt des Stücks stimmt der Darsteller mit sanfter Stimme das Lied "Endlich angekommen" an: "Wie oft lag ich wach und hab doch geträumt? Irgendwo weit weg, da kann ich sein, wer ich bin. Und mein Herz, das flüstert: Genau hier gehör‘ ich hin". In diesem Moment wirkt es, als stünde nicht mehr "Hercules" auf der Bühne – sondern der kleine Philipp aus Würzburg, der nie aufgehört hat, an seine Träume zu glauben. Und der seinen Platz in der Welt nun gefunden hat.
- Report vor Ort