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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kriegsgedenken in Hamburg Ukrainische Generalkonsulin: "Zeigen Sie mehr Mut"
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Kurz vor dem dritten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine hat die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka in Hamburg eine eindringliche Botschaft an die Bürger der Hansestadt.
Am Montag jährt sich der Angriff Russlands gegen die Ukraine zum dritten Mal. Im Gespräch mit t-online erklärt die Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg, Iryna Tybinka, was sie sich von den Hamburger Bürgern wünscht und wie die Hansestadt bereits hilft.
t-online: Am Montag sind es fast 1.197 Tage Krieg in der Ukraine. Hamburg gedenkt mit einer stillen Minute. Was bedeutet dieser Jahrestag und das Gedenken in Hamburg für Sie?
Iryna Tybinka: Das bedeutet Verluste, das bedeutet Schmerz, das ist das Leid meines Volkes. Das bedeutet die Zerstörung meines Landes. Das bedeutet für mich aber auch Dankbarkeit für all diejenigen, die diesen Verlust verstehen und bereit sind, die Ukraine weiter zu unterstützen. Das gibt uns Hoffnung.
War Hamburg bisher gut zu Ihnen? Und was kann ein Stadtstaat für die Ukraine tun?
Meine Erfahrung bezüglich der Zusammenarbeit mit Hamburg beweist immer wieder, dass jede Hilfe zählt. Hamburg hat das durch seinen Pakt mit der ukrainischen Hauptstadt Kiew schon mehrfach bewiesen. Darum bedanke ich mich immer wieder beim Senat, bei jedem Bürger und jeder Bürgerin hier in Hamburg für ihre Solidarität.
Wie unterstützt Hamburg die Ukraine? Haben Sie da konkrete Beispiele?
Eines der bedeutsamsten Projekte bleibt der Kauf von Ausrüstung zur humanitären Minenräumung in der Ukraine im Wert von 9,5 Millionen Euro. Ein Drittel des Territoriums der Ukraine ist vermint, was täglich Todesopfer fordert. Es gibt auch sehr starke kommunale Projekte. Zum Beispiel kooperiert die kommunale Wasserversorgung in Kiew mit Hamburg Wasser. Vor Kurzem war eine medizinische Delegation aus Kiew in Hamburg. Daraus sollte eine Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern beider Städte entstehen. Das ist wichtig, weil alle Krankenhäuser stark ausgelastet sind, wegen der vielen Kriegsverletzten. Und natürlich brauchen sie medizinische Ausrüstung, verschiedene Geräte. Auch hat Hamburg mit der Spende von Bussen für den Nahverkehr und Rettungswagen geholfen. Hamburg versteht, wie wichtig es ist, der Ukraine auf solche Art und Weise zu zeigen, dass sie nicht allein ist.
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Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg
Iryna Tybinka ist seit Oktober 2022 Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg. Sie studierte Internationale Beziehungen in Lwiw und begann ihre diplomatische Laufbahn 1999. Sie war Vize-Konsulin in Frankfurt-am-Main. Zudem war sie an der ukrainischen Botschaft in Österreich tätig und arbeitete an der Botschaft in Moskau.
Die ukrainischen Geflüchteten in Hamburg: Wie geht es denen?
Ich bevorzuge den Begriff Schutzsuchende, weil sie temporär hier sind, wegen des Krieges hier sind. Sie sind nicht Geflüchtete, die Asyl suchen. Viele konnten sich integrieren. Viele haben Deutsch gelernt und haben einen Job. Sie haben hier physische Sicherheit gefunden. Aber in ihren Herzen und Köpfen sind sie in der Ukraine, wo Russland einen Völkermord verübt.
In Hamburg sind auch die Klitschko-Brüder zuhause, die ursprünglich aus der Ukraine stammen. Gibt es durch sie auch einen starken Bezug zwischen Hansestadt und Kiew oder der Ukraine insgesamt?
Möglicherweise spielt das eine Rolle. Die Brüder Klitschko sind sozusagen gesellschaftliche Botschafter der Ukraine. Sie sind hier sehr beliebt. Sie nutzen vor allem ihre Popularität, um für die Ukraine und für weitere Hilfsbereitschaft seitens des Westens zu werben.
Jetzt stehen in Hamburg die Bürgerschaftswahlen an: Die AfD bekennt sich zu einem russlandfreundlichen Kurs. Wie bewerten Sie das Erstarken der Partei?
Ich kenne Deutschland und wohne hier schon lange. Deutschland ist für mich wie eine zweite Heimat. Ich glaube fest an die Klugheit der deutschen Gesellschaft, daran, dass die Deutschen zugunsten der Demokratie stimmen. In diesen kritischen Zeiten muss die Demokratie gestärkt werden. Das passiert nur, wenn die deutschen Bürgerinnen und Bürger die demokratischen politischen Kräfte unterstützen. Alle, die anders ticken, sind gegen die Interessen Deutschlands und die Werte, für die Deutschland steht. Das wünsche ich mir nicht für meine zweite Heimat.
US-Präsident Donald Trump hat ihren Präsidenten einen Diktator genannt und ihm die Verantwortung für den Krieg gegeben. Haben Sie mit so etwas gerechnet?
Es ist eine pure Täter-Opfer-Umkehr. Niemand hat erwartet, das zu hören. Unser Präsident Wolodymyr Selenskyj ist ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt. Er genießt in der Bevölkerung starke Unterstützung. Laut jüngsten Umfragen liegt die Zustimmung bei etwa 57 Prozent – und nicht bei vier Prozent, wie es aus den USA heißt. Laut der Verfassung der Ukraine dürfen während des Krieges keine Neuwahlen stattfinden – genauso wie in Deutschland im Verteidigungsfall.
Betrachten Sie das auch ein Stück weit als Chance, wenn im schlimmsten Fall die Unterstützung der USA wegbricht? Kann Europa die Lücke füllen?
Es gibt zwei Sachen, die man sich im Krieg nicht erlauben kann: den Feind zu unterschätzen, und die eigenen Kräfte zu unterschätzen. Russland ist in der Lage, weiter große Mengen an Waffen zu produzieren. Es kann seine Armee nicht nur bewaffnen, sondern auch vergrößern. Aber Europa ist auch sehr stark. Ich glaube an Europa. Wir kämpfen für Europa. Europa muss selbst endlich begreifen, dass es keine andere Option hat. Dann findet es die Kraft, dann werden die Kapazitäten gefunden. Die Ukraine und Europa müssen zusammen auf eigenen Beinen stehen.
Wenn Sie noch einen Appell an Hamburgs Bürger richten könnten, was würden Sie denen sagen?
Treffen Sie bei der Wahl eine kluge und abgewogene Entscheidung. Zeigen Sie mehr Mut und Entschlossenheit. Man muss an die eigene Kraft glauben und verstehen, dass Deutschland wahrscheinlich die Führungsrolle für die ganze demokratische Welt übernehmen wird. Das verlangt von jedem Bürger mehr Kraft, mehr Stärke, mehr Entschlossenheit und natürlich mehr Verständnis dafür, was gerade in der Welt passiert.
Vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Iryna Tybinka