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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Moderatorin und Aktivistin Didine "Ich habe früh gemerkt, dass diese Welt nicht für mich gemacht ist"

Vergangenes Jahr wurden mehrere CSD-Veranstaltungen in Deutschland angegriffen, homophobe Straftaten in Hamburg nehmen zu. Ein Gespräch über die Gründe von Queerfeindlichkeit und die Bedeutung von queerer Sichtbarkeit.
Die Stadt Hamburg zeigt sich wohl in keinem anderen Stadtviertel so weltoffen und tolerant wie auf St. Pauli: Regenbogen-Sticker kleben an jedem Kiosk, es gibt unzählige Gay-Bars und Travestie-Shows und nur wenige Vereine auf dieser Welt zeigen eine so klare Haltung gegen Sexismus, Rassismus und soziale Ungleichheit wie der FC St. Pauli.
Moderatorin und Aktivistin Didine van der Platenvlotbrug sitzt an einem Mittwoch im Juni draußen im Café "Kandie Shop" in der Wohlwillstraße im Herzen von St. Pauli. Es ist angenehm warm, vor ihr auf dem Tisch steht ein Eiskaffee. Doch so frei bewegen wie hier können sich offen queer lebende Menschen in Hamburg nicht immer.
t-online hat mit Didine über die zunehmende Queerfeindlichkeit, die möglichen Gründe und über die Bedeutung von queerer Sichtbarkeit gesprochen.
Über St. Pauli: "Ich wohne in einer der sweetesten Bubbles"
Seit über 30 Jahren lebt die 56 Jahre alte Didine – Performerin, Marktforscherin und Philosophie-Dozentin – auf St. Pauli. "Ich wohne in einer der sweetesten Bubbles Deutschlands. Aber das ist ein Privileg – viele queere Menschen erleben Gewalt", sagt sie. Der Schutzraum St. Pauli ist für sie ein Ort des Empowerments, aber kein Maßstab für die Realität.
Der Name Didine bestand nicht von Anfang an: Im Jahr 1969 wurde sie im hessischen Darmstadt als Daniel Plettenburg geboren. Schon im jungen Alter, mit drei Jahren, habe Daniel gemerkt, dass er anders ist: In dem Jungenkörper habe er sich zwar wohlgefühlt – doch damals habe Daniel bereits gewusst, dass er später keinen Männerkörper haben möchte.
In der Schule habe er lieber mit Mädchen und Puppen gespielt – zum Missfallen der Grundschullehrerin: Er solle bitte lieber mehr mit Jungs spielen. Im Alter von fünf Jahren sei Daniel bewusst geworden, dass er schwul ist: "Ich habe früh gemerkt, dass diese Welt nicht für mich gemacht ist. Doch ausgestattet mit einem guten Selbstbewusstsein, habe ich mich selbst nie infrage gestellt, sondern die Welt um mich herum."
Im Alter von 50 Jahren wusste Didine, dass sie non-binär ist
Mit 18 Jahren ist Daniel nach Hamburg gezogen – "raus aus dem toxischen Umfeld". Mit einem vollgepackten VW-Bus ist er in die Hansestadt gefahren und nach anfänglichen Schwierigkeiten hat er die Vorzüge der offenen Großstadt kennengelernt. Und er wurde mit offenen Armen von der queeren Community empfangen. Aus Daniel Plettenburg wurde die Tunte und Dragqueen Didine van der Platenvlotbrug.
Jahre später, im Alter von 50 Jahren, konnte Didine ihre Geschlechtsidentität endlich benennen: Sie ist non-binär oder genauer gesagt genderfluid. Das bedeutet, dass die Geschlechtsidentität als fließend und veränderbar empfunden wird: "Ich bin halt Daniel und Didine".
"Wenn du trans bist, bekommst du viel Hass ab"
Auch wenn queere Personen in Hamburg und insbesondere auf St. Pauli Unterstützung und Solidarität erfahren – queerfeindliche Angriffe in der Hansestadt nehmen zu. Im Jahr 2024 gab es 149 Straftaten, die im Bereich "sexuelle Orientierung" und "geschlechtsbezogene Diversität" gezählt worden sind.
Didine selbst hat in letzter Zeit keine offene Diskriminierung erlebt – "aber wenn du trans bist und sichtbar queer bist, bekommst du viel Hate ab, entweder aktiven Hass auf der Straße oder auch viel Shaming." Deswegen würden einige Menschen versuchen, ihre Queerness zu verstecken.
Besonders im Hinblick auf den anstehenden CSD am 2. August zeigt sie sich besorgt – denn im letzten Jahr wurden mehrere CSD-Veranstaltungen in Deutschland angegriffen, meist von rechten Gruppierungen. In Hamburg wurde 2024 in der Pride Week eine Regenbogenflagge am Rathaus beschädigt.
Für Didine ist es ein alarmierendes Signal, dass das Hamburger Rathaus als Zentrum der Demokratie angegriffen wurde. Denn darum gehe es: "Wenn queere Menschen oder CSDs angegriffen werden, ist das nicht nur ein Angriff auf uns als Minderheit – es ist ein Angriff auf uns alle, unsere Demokratie."
Viele Menschen hätten Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen
Gleichzeitig begegnet sie auch jenen mit Respekt, die sich mit queeren Themen schwertun: "Viele Menschen spüren, dass sich gerade vieles verändert – und das macht ihnen Angst." Diese Verunsicherung sei real – gerade in einer Welt, in der sich Sprache, Technologie und gesellschaftliche Normen rasant wandeln.
"Ich glaube nicht, dass es Ablehnung ist, die viele empfinden, sondern Überforderung", so Didine. Gerade hier sei Aufklärung so wichtig – nicht belehrend, sondern einladend. Einige Menschen hätten auch Sorge, etwas Falsches zu sagen oder zu fragen – doch solange es respektvoll sei, dürfe man alles fragen. "Wir alle würden profitieren, wenn wir uns mit zärtlicher Neugier begegnen."
"Das, was du siehst, erlaubt dir, es dir vorzustellen"
Queere Sichtbarkeit ist für Didine von hoher Bedeutung: Sie selbst hatte keine Vorbilder, als sie nach Hamburg kam – weil es zu der Zeit schlicht keine gab. Doch andere queere Menschen zu sehen und zu erleben, könne für viele der erste Schritt in Richtung Selbstermächtigung sein – und zeigen, dass man nicht allein ist, und an Queerness nichts "falsch" ist.
"Das, was du siehst, erlaubt dir, es dir vorzustellen", sagt Didine. Sie selbst wird in den sozialen Medien oft von jungen Menschen gefeiert, da sie zuvor noch nie eine 50 Jahre alte, non-binäre Person gesehen hätten.
Besondere Herausforderungen für Jugendliche auf dem Land
Gerade für Kinder und Jugendliche, die abseits queerer Großstadtbubbles leben, hat Didine eine klare Botschaft: "Kein einziger Hase von euch ist allein." Über soziale Medien könne man sich informieren und Anschluss finden – selbst, wenn das eigene Umfeld noch keine Offenheit zeigt.
"Es ist eine queere Superpower, sich zu zeigen – aber auch, sich zu schützen", sagt sie. Sich Hilfe zu suchen, klug zu entscheiden, wann und wie man sich outet, sei kein Rückzug, sondern Selbstfürsorge.
Und allen anderen Menschen, die nicht queer sind, möchte Didine in Erinnerung rufen: Der Schutz von Minderheiten dürfe niemals nur die Aufgabe von Betroffenen sein – sondern müsse die aller sein. Denn: "Ohne Minderheitenschutz gibt es keine Demokratie."
- Interview mit Didine van der Platenvlotbrug am 4. Juni