Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Justizskandal um Waffenhändler "Als hätten die Ermittler mich als Täter ausgesucht"
Die Staatsanwaltschaft Hamburg ließ einen illegalen Waffenhändler jahrelang gewähren – trotz erdrückender Beweise. Stattdessen zerstörte sie das Leben eines unliebsamen Journalisten.
Der Anruf, der Lars Winkelsdorfs Leben verändert, erreicht ihn am Montag, dem 12. März 2007. Winkelsdorf ist Journalist und Waffenexperte mit besten Verbindungen in die Szene. An diesem Tag ruft ihn ein Kollege an, dem er für einen TV-Beitrag den Kontakt zu einem Waffenhändler vermittelt hat. "Du musst nach Hamburg kommen", sagt der Kollege. "Der Waffenhändler will sich mit mir nur bei Dir zu Hause in Hamburg treffen."
Winkelsdorf arbeitet zu dieser Zeit in Berlin und ist nicht darauf eingestellt, so schnell loszumüssen. Er ist überrascht von der Bitte. Nicht überrascht ist er, dass sein Kollege es geschafft hat, den Waffenhändler zu einem Treffen zu überreden. Ihm selbst war das ein Jahr zuvor auch gelungen. Warum dieses Treffen nun aber bei ihm stattfinden muss, versteht er nicht. Er hat eigentlich keine Zeit dafür. Doch er setzt sich ins Auto und fährt auf die A24 Richtung Hamburg.
Waffenhändler vs. Journalist
Von da an nimmt eine Geschichte ihren Lauf, die bis heute die Gerichte beschäftigt. Es geht um einen illegalen Waffenhändler, gegen den die Staatsanwaltschaft lange trotz erdrückender Beweise nicht richtig ermittelt. Um einen Journalisten, den sie stattdessen mit nicht haltbaren Vorwürfen vor Gericht stellt und mit Prozessen überzieht, bis er fast ruiniert ist. Und vor allem geht es um die Frage, warum die Staatsanwaltschaft all dies tut.
Lars Winkelsdorf, der Journalist, hat einen Verdacht: "Die Staatsanwaltschaft hat einen Waffenhändler bewusst geschützt und mich dafür geopfert!", sagt er. Diesem Verdacht will er nun mit der Wiederaufnahme seines Verfahrens nachgehen.
Lars Winkelsdorf, Journalist
Lars Winkelsdorf ist 45 Jahre alt und arbeitet als freier Journalist für unterschiedliche Redaktionen. Für das Politmagazin "Frontal 21" hat er diverse Beiträge über rechtsextreme Strukturen und auch Rockerclubs veröffentlicht.
Außerdem ist Lars Winkelsdorf Waffenexperte und gefragter Ansprechpartner rund um das Waffengesetz. Zuletzt trat er als Gesprächspartner in einer Podiumsdiskussion der Bundestagsfraktion der Grünen auf.
Das Waffenrecht ist einer der kompliziertesten Bereiche, die es im deutschen Recht gibt. Es ist geprägt von Verweisen auf Verwaltungsgesetze. Kommunale Waffenbehörden setzen die Gesetze jeweils unterschiedlich um. Und dann gibt es noch Staatsanwaltschaften, die manchmal schon an der Unterscheidung zwischen Voll- und Halbautomatik scheitern. In Deutschland kennen sich höchstens 20 Experten gut mit dem Waffenrecht aus, einer davon ist Lars Winkelsdorf.
Twitter-"Erklär-Bär" Winkelsdorf
Neben seiner Arbeit als Journalist hat er jahrelang auch als Waffensachverständiger gearbeitet. Er versteht etwas von Militär und Taktiken. Auf Twitter ist er in den vergangenen Monaten noch bekannter geworden, weil er Laien in langen Threads Details des russischen Angriffskriegs erklärt. In kürzester Zeit hat er gut 40.000 Follower dazugewonnen. Seine Einschätzungen kommen an. Er genießt die Aufmerksamkeit, denn lange Zeit haben ihm in seinem eigenen Fall nur wenige Menschen geglaubt.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Winkelsdorf bekam 2006 Kontakt zum illegalen Waffenhändler Guido W. Damals schrieb der Journalist das Skript für einen Sat.1-Film, in dem es um illegalen Waffenhandel, Schwarzmarktpreise und untätige Ermittler ging. Dass Guido W. wirklich mit Waffen handelte, hatte Winkelsdorf überprüft, sie hatten sich für Vorbesprechungen getroffen. W. präsentierte ihm Waffen, nannte ihm Herkunft und Abnehmer; die Preise auf dem illegalen Waffenmarkt kannte er. "All das ließ sich verifizieren", sagt Winkelsdorf. Für den Film traf er sich mit Guido W. in einer Garage in der Nähe von Winkelsdorfs Haus. Dort machten sie ein Interview, die illegalen Waffen wurden gefilmt. Guido W. wusste seitdem, wo Winkelsdorf wohnt.
Winkelsdorf vermittelt anderem Journalisten Kontakt
Der Beitrag sorgt bald für Gesprächsstoff, auch Winkelsdorfs Kollege Mark L. wird darauf aufmerksam. Er will einen ähnlichen Beitrag dem Sender Kabel 1 anbieten und bittet Winkelsdorf, ihm den Kontakt zum Waffenhändler Guido W. zu vermitteln. Winkelsdorf hilft ihm. Von da an ist er eigentlich raus, L. spricht nun direkt mit dem Waffenhändler. Bis zum 12. März 2007, als Mark L. Winkelsdorf anruft. Der Waffenhändler besteht darauf, sich in vertrauter Umgebung zu treffen: In Winkelsdorfs Hamburger Haus, das er von den Gesprächen mit ihm im Jahr zuvor kennt. Zähneknirschend stimmt Winkelsdorf zu. Die Dreharbeiten finden bei ihm statt. Der Film wird unter dem Titel "Kabel 1 – Dealer am Abzug" ausgestrahlt.
Damit hätte die Geschichte eigentlich enden können.
Doch mehr als ein Jahr später wird Guido W. verhaftet. Winkelsdorf hatte ihn angezeigt, nachdem er erfahren hatte, dass W.s Waffen bei einer Schießerei in Hamburg verwendet worden und Morde geplant waren. Er musste dafür zwischen Informantenschutz und der Abwehr schwerer Straftaten abwägen – und entschied sich für Letzteres.
Staatsanwaltschaft spielt Rolle des Waffenhändlers runter
Die Staatsanwaltschaft beginnt zwar, gegen den Waffenhändler und eine mögliche Mittäterin zu ermitteln, doch überraschenderweise auch gegen den Journalisten Lars Winkelsdorf. In der Anklageschrift, die t-online vorliegt, wird die Rolle von Waffenhändler Guido W. heruntergespielt. Er sei nur ein harmloser Sammler, der verbotene Waffen in seinem Auto transportiert habe. Winkelsdorf dagegen wird vorgeworfen, ihn dazu angestiftet zu haben. Der Journalist, so der Vorwurf, habe einen Schauspieler für einen TV-Beitrag gesucht und Guido W., den angeblich harmlosen Waffennarr, dafür engagiert. So steht es in dem Gerichtsdokument.
t-online liegen Abhörprotokolle aus den Ermittlungsakten vor, die zeigen, dass die Polizei durchaus wusste, dass W. illegale Waffen besaß. Demnach haben Guido W. und Winkelsdorf in der Zeit, als gegen sie ermittelt wurde, telefoniert. Sie unterhalten sich über den ersten Fernsehbeitrag. Guido W. fordert den Journalisten auf, ihm zu helfen, er soll sagen, die ganze Aktion sei ein Fake gewesen. Doch: Winkelsdorf lehnt ab und sagt laut Protokoll: "Es war ja kein Fake." Guido W. widerspricht nicht.
Die Staatsanwaltschaft scheint sich für die Erkenntnisse der Polizei allerdings nicht zu interessieren. Mit aller Macht versucht sie, Winkelsdorf zu kriminalisieren und den Waffenhändler zu schützen.
In erster Instanz wird Winkelsdorf zwar freigesprochen. Doch die Staatsanwaltschaft geht in Berufung und erreicht tatsächlich, dass Winkelsdorf in zweiter Instanz schuldig gesprochen wird – wegen der Anstiftung zum unerlaubten Führen von Schusswaffen. Er soll Guido W. angewiesen haben, die Waffen zu seinem Haus zu bringen. Dabei war Winkelsdorf weder Autor des Kabel-1-Fernsehbeitrages, noch hat er das Treffen in seinem Garten organisiert.
Diese Informationen liegen der Staatsanwaltschaft damals vor. Die Produktionsfirma hat dem Gericht sogar schriftlich mitgeteilt, dass Winkelsdorf nichts mit dem Beitrag zu tun hatte. Die Staatsanwaltschaft hätte zudem Mark L., den Autor des Beitrags, befragen können. Doch das tut sie nicht.
t-online liegt eine eidesstattliche Versicherung von Mark L. vor, in der er bestätigt, dass er die Gespräche mit Guido W. geführt hat, dass W. ein illegaler Waffenhändler ist und er den Treffpunkt bei Winkelsdorf ausgemacht hatte.
Winkelsdorf wird also verurteilt. Die Staatsanwaltschaft teilt dazu inzwischen mit: "Vermutlich wäre es für den Tatvorwurf auch unerheblich, in welcher offiziellen Funktion der Verurteilte an den Aufnahmen beteiligt war." Konkret: Winkelsdorf wurde verurteilt, obwohl seine einzige Beteiligung an dem Beitrag war, dass er den Kontakt zwischen L. und dem Waffenhändler Guido W. vermittelt hat und es ermöglichte, dass Mark L. sich in Winkelsdorfs Garten mit Guido W. traf.
Nach dem Urteil verliert er seine waffenrechtliche Erlaubnis, die er als Waffensachverständiger braucht. Auch Redaktionen, mit denen er bis dahin gut zusammengearbeitet hat, gehen auf Abstand zu ihm. Er verliert Aufträge und muss zeitweise von wenigen Hundert Euro im Monat sein Leben finanzieren.
Waffenhändler mit Kontakten zu Hells Angels
Guido W. dagegen wird nicht wegen illegalen Waffenhandels verurteilt, obwohl es in der Akte dafür zahlreiche Belege gibt. Verurteilt wird er wegen Waffenbesitzes. Auch Hinweise auf Verbindungen in die organisierte Kriminalität finden sich darin, genauer: zu den Hells Angels.
Auf Nachfrage, warum die Staatsanwaltschaft diese Verbindungen nicht weiterverfolgt hat, antwortet eine Sprecherin: "Entsprechenden Verdachtsmomenten wurde nachgegangen, sie ließen sich jedoch nicht bestätigen." Das überrascht. Denn bei den Ermittlungen 2008 fand die Polizei auch W.s Terminkalender. Darin standen etliche Termine, bei denen erfahrene Ermittler hätten aufhorchen müssen. Etwa bei dem Eintrag: "03.11.07 81 Party in Alveslohe mit Peter vom Zoll" Die Zahl 81 steht in der Szene für die Reihenfolge der Buchstaben im Alphabet. 8 für H, 1 für A: "HA" also, Hells Angels, die kriminelle Rockergruppe. In Alveslohe befand sich 2007 eines der gefährlichsten sogenannten Charter der Rockerszene in Deutschland.
Haben die Behörden weggesschaut?
Ein weiterer Eintrag lautet: "09.11.07 Detsches Geb.-Feier im Other Place". Deutlicher geht es kaum. Das "Other Place" ist eine Szenebar der Hells Angels. "Hier hat die Staatsanwaltschaft offensichtliche Fakten nicht sehen wollen", sagt Journalist Lars Winkelsdorf. 2007 tobte ein Rockerkrieg auf deutschen Straßen. Schon 2008 hatte es eine Schießerei an einer Tankstelle in Hamburg gegeben. Guido W. hatte Winkelsdorf erzählt, bei dieser Schießerei seien auch seine Waffen zum Einsatz gekommen. Das hatte der Journalist angezeigt aus Sorge, dass weitere Straftaten mit W.s Waffen verübt würden. Doch ermittelt wurde offenbar nicht.
Es gab also viele Hinweise auf Guido W.s Verbindungen zu Kriminellen und seine illegalen Waffendeals. Doch die Ermittler nutzten sie offenbar nicht. Allein das könnte Strafvereitelung im Amt sein.
Winkelsdorf redet in dieser Zeit immer wieder mit Journalistenkollegen über das, was ihm passiert ist. Dass er unschuldig verurteilt und der Waffenhändler Guido W. laufen gelassen worden sei. Er wirkt dabei verzweifelt, spricht von einer Verschwörung der Staatsanwaltschaft. Seine Geschichte ist kompliziert und füllt viele Leitz-Ordner. Das schreckt viele ab.
t-online hat die Unterlagen gesichtet und war auch bei einem entscheidenden Gerichtstermin vor einem Jahr dabei: Am 24. November 2021.
Die Wende – Waffenhändler wird veruteilt
An diesem Tag wurde Guido W. schließlich doch noch wegen illegalen Waffenhandels verurteilt. 14 Jahre, nachdem Polizei und Staatsanwaltschaft bereits von seinen kriminellen Machenschaften hätten wissen müssen. Sein Name war in den sogenannten EncroChats aufgetaucht, einer verschlüsselten Kommunikation, die Kriminelle weltweit jahrelang genutzt hatten. Fotos von diesen Chats liegen t-online vor.
Französische und niederländische Ermittler hatten 2020 Zugriff auf diese Chats bekommen und später international geteilt. In vielen Ländern konnten so Drogen-, Menschen- und Waffenhändler überführt werden. Unter ihnen war auch Guido W., der unter anderem Waffen an einen der bekanntesten Drogenhändler Deutschlands verkauft hatte.
"Pumpis", "Stechmücken" und "Uhren" als Codewörter
In den Chats ist die Rede von "Pumpis", gemeint sind Pumpguns, oder auch "Stechmücken" für die Pistole mit dem Namen "Mosquito" und das Wort "Uhren" für Waffen der Firma Glock. W. hatte seine Waffen in einem Bunker in der Nähe des Hamburger Flughafens eingelagert. Darunter war auch seine CNC-Fräse, mit der er eine spezielle Ausführung eines Schießkugelschreibers baute, die bei Strafverfahren im gesamten Bundesgebiet auftauchte. Die Beweislage war erdrückend. Guido W. wurde vom Landgericht Hamburg zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
Für den Journalisten Lars Winkelsdorf war es das letzte Puzzlestück, um seine Unschuld zu beweisen. Er hoffte, dass die Hamburger Justiz nun endlich auf ihn zugehen und sein Urteil rückgängig machen würde. Doch ein Jahr später ist immer noch nichts passiert. Deshalb hat Winkelsdorf jetzt den renommierten Strafrechtler Gerhard Strate auf seinen Fall angesetzt.
Wiederaufnahmeverfahren für Winkelsdorf?
Strate ist Experte für Verfassungsbeschwerden und die Wiederaufnahme von Verfahren. Er ist überzeugt: "Es gibt eine eindeutig andere Beweislage als die, welche die Staatsanwaltschaft genutzt hat, um meinen Mandanten zu Unrecht zu kriminalisieren." Sein Antrag zur Wiederaufnahme des Verfahrens liegt zurzeit beim Landgericht in Hamburg in der kleinen Strafkammer 10.
"Nach dem Gesetz muss das Verfahren wiederaufgenommen werden", sagt Strate t-online. Winkelsdorfs Kollege Mark L. steht bereit, um zu bezeugen, dass Winkelsdorf nichts Verbotenes getan hat und nicht an den Geschehnissen beteiligt war. "Die Justiz dürfte das nicht länger ignorieren", hofft Winkelsdorfs.
Er kämpft bis heute mit den Folgen des fragwürdigen Urteils gegen ihn. Die Aufträge als Journalist sind immer noch spärlich, auch waffenrechtliche Gutachten darf er weiterhin keine schreiben. Der Schaden, der ihm in 14 Jahren entstanden ist, dürfte bei mehr als einer Million Euro liegen. Er hofft, endlich rehabilitiert zu werden. Und dass in einem Wiederaufnahmeverfahren endlich herauskommt, warum die Staatsanwaltschaft so lange nicht gegen Guido W. vorging.
Egal, wie das ausgeht, seinen Glauben an eine objektive Justiz in Hamburg habe er dauerhaft verloren, sagt Winkelsdorf.
Hintergrund zum Beitrag
Der Journalist Lars Winkelsdorf arbeitet auch als freier Mitarbeiter immer wieder für das Nachrichtenportal t-online. Den Namen von Lars' Kollegen Mark L. haben wir abgekürzt, um seine Persönlichkeitsrechte zu schützen.
- Eigene Recherche