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Hamburg: Pflicht zum Vorlesen in der Kita? | Frühkindliche Bildung


Frühkindliche Bildung
Brauchen wir in Hamburg eine Pflicht zum Vorlesen?

  • Katharina Grimm
Von Birk Grüling

01.03.2025 - 10:30 UhrLesedauer: 4 Min.
Kinderbücher: Vorlesen fördert die Entwicklung des Nachwuchses.Vergrößern des Bildes
Kinderbücher: Vorlesen fördert die Entwicklung des Nachwuchses. (Quelle: ferrantraite/getty-images-bilder)
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Wem schon früh vorgelesen wird, der lernt auch später selbst leichter lesen. Doch längst nicht jedes Kind wächst mit einer Gutenachtgeschichte auf. In Hamburg wurde eine Lösung entwickelt.

Im Hamburger Fröbel-Kindergarten Elbwichtel sind Bücher allgegenwärtig. Gleich neben der Garderobe steht ein großes Regal mit Bilderbüchern in verschiedenen Sprachen wie Deutsch, Englisch oder Arabisch. An dieser Mini-Bibliothek können sich Eltern und Kinder nach Herzenslust bedienen. Auch in den einzelnen Kita-Räumen stehen kleine Bücherregale, thematisch passend zum Raum. Im Bauraum gibt es Bücher über Baufahrzeuge, im Rollenspielraum Märchen mit Prinzessinnen und Rittern sowie Wimmelbücher über Berufe. Zudem haben alle Kollegen und auch die Eltern Zugang zu einer mehrsprachigen Bilderbuch-App.

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Verantwortlich für das Lesekonzept der Kita ist Sprachfachkraft Beate Coffi. "Wir lesen unseren Kindern jeden Tag vor. Sie können einfach zuhören, selbst Fragen stellen oder gemeinsam Geschichten erfinden", sagt die Erzieherin. Solche Alltagsmomente schaffen nicht nur Freude an Büchern, sondern erweitern auch den Wortschatz und bereiten spielerisch auf das spätere Lesenlernen vor.

Generell wird Kindern offenbar zu wenig vorgelesen. Eine Elternbefragung der Stiftung Lesen aus dem Jahr 2024 ergab, dass etwa 70 Prozent der Mütter und Väter ihren Kindern mehrmals pro Woche vorlesen. Ein Drittel der Eltern etwa greift dagegen selten oder nie zum Kinderbuch. Besonders selten wird in "bildungsfernen" Familien vorgelesen. Und das hat Folgen für die Schullaufbahn, sagt Steffen Gailsberger, Leseforscher und Professor für Literatur- und Mediendidaktik an der Universität Kiel. Wie häufig und intensiv in der frühen Kindheit vorgelesen werde, habe großen Einfluss auf die spätere Lesekompetenz. Und Gailsberg weiter: "Umso wichtiger ist es, dass neben Eltern auch die pädagogischen Fachkräfte in der Kita noch mehr zu Lesevorbildern werden." Bleibt diese Prägung aus, werden Kinder über kurz oder lang zu "Nichtlesern". Laut der aktuellen IGLU-Studie, die Lesekompetenz bei Kindern untersucht, ist jeder vierte Viertklässler in Deutschland nicht in der Lage, mindestens 100 Wörter pro Minute zu lesen und zu verstehen. Um diesem Problem zu begegnen, wurde in vielen Bundesländern das sogenannte Leseband in der Schule eingeführt.

Hamburg als Vorreiter beim Leseband

Dahinter steckt eine simple Idee. "Wie eine Sportart muss auch das Lesen trainiert werden. Deshalb wird nun an jedem Schultag 20 Minuten verbindlich gelesen, zusätzlich zum Deutschunterricht", erklärt Gailberger. Vorreiter war dabei Hamburg, hier startete das Leseband als kleines Modellprojekt. Dass inzwischen elf Bundesländer nachgezogen haben, spricht für die Idee. Die damalige Evaluationsstudie von Gailberger ergab, dass die Grundschülerinnen und -schüler nicht nur ihre Lesefähigkeit verbesserten, sondern auch ihre Leistungen in Mathematik und Rechtschreibung. Besonders profitieren davon Kinder aus bildungsfernen Familien. Einziger Haken: Bis sich auch in den großen Vergleichsstudien wie IGLU oder PISA eine Verbesserung der Lesekompetenzen zeigt, werden vermutlich noch einige Jahre vergehen.

Innerhalb der Leseforschung wird unterdessen eine Frage immer häufiger gestellt: Wäre ein vergleichbares Vorleseband nicht auch für die Kitas sinnvoll? So ließen sich jedenfalls die Versäumnisse der nicht vorlesenden Eltern ausgleichen. Denn ja, in vielen Kitas wird schon täglich vorgelesen, aber längst nicht alle Kinder werden damit erreicht. Oft sitzen immer dieselben Mädchen und Jungen bei den pädagogischen Fachkräften und lauschen einer Geschichte. Oft fordern nur die Kinder, die selbst schon Vorleseerfahrungen haben, auch das Lesen in der Kita ein. Und in Zeiten von großen Gruppen und raren Fachkräften fehlt oft die Muße und der Raum, auch die anderen Kinder anzusprechen.

Pflicht zum Vorlesen?

Verbindliche Lesezeiten für alle könnten Abhilfe schaffen. Bei den Hamburger Elbwichteln hält sich die Begeisterung über verpflichtende Vorlesezeiten jedoch in Grenzen. "Unsere Kita lebt von offenen Angeboten und Lernimpulsen. Alle Kinder zur selben Zeit vor Büchern zu versammeln, würde kaum in unseren Alltag passen", sagt Sprachfachkraft Coffi. Stattdessen will sie Vorlesemuffel eher mit gezielter Buchauswahl begeistern. Ganz nach dem Motto: Kinder für Bücher zu interessieren, sei nicht schwer, man brauche nur das richtige Thema. Und von den Kindern springt oft der Funke zu den Eltern über.

Einziger Haken: Dieser Ansatz mag in einzelnen Kitas funktionieren, für eine flächendeckende Lösung taugt er kaum. Bei dem Hamburger Verein Seiteneinsteiger, der mehrere Leseförderprogramme in der Stadt betreut, ist die Offenheit für die Idee aus der Leseforschung deutlich größer. Ein Vorleseband könnte mehr Verbindlichkeit in der frühkindlichen Leseförderung schaffen. Bisher setzt man in Hamburg auf Aufklärungsarbeit bei Eltern und pädagogischen Fachkräften. Ein wichtiger Baustein ist hier der sogenannte Buchstart 4 ½: Bei den Schuluntersuchungen für die 4,5-Jährigen bekommen sie einen kleinen Rucksack und das "Hamburger Geschichten-Buch" geschenkt, samt mehrsprachigem Flyer, der auf die Wichtigkeit des Vorlesens verweist. "Dank Buchstart 4 ½ ist in Hamburg das Bewusstsein für das Vorlesen natürlich in den Fokus gerückt. Aber es braucht immer vereinte Kräfte. Die Bedeutung des Vorlesens in den Familien noch stärker zu verankern, geht nur mit der Mithilfe der pädagogischen Fachkräfte", sagt Nina Kuhn vom Verein Seiteneinsteiger.

Frühkindliche Bildung bleibt abhängig vom Elternhaus

Wie einst beim Leseband müsste auch ein Vorleseband als kleines Modellprojekt beginnen – mit einem einzelnen Kita-Träger, einzelnen Einrichtungen, vielleicht erst mal in den Vorschulgruppen. Und die Konzepte bräuchten Spielraum – eine Brennpunkt-Kita braucht andere Ansätze als eine Einrichtung in akademisch geprägten Vierteln.

Bis Pilotprojekte an den Start gehen, bleibt die frühkindliche Leseförderung weiterhin stark abhängig vom Elternhaus und Erzieherinnen wie Beate Coffi, die mit viel Leidenschaft versucht, möglichst viele Kinder (und ihre Eltern) für Bücher zu begeistern.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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