Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Genossenschaft als Geschäftsmodell Bitte ohne Investoren, Oligarchen und Scheichs
Um sich zukünftig vor Investoren freizumachen und dennoch finanziell abzusichern, plant der FC St. Pauli die Revolution: Der Verein will eine Genossenschaft gründen.
Die rund 800 Interessierten hatten viele Fragen mitgebracht, als sie am Dienstagabend in den Ballsaal am Millerntor kamen. Denn, wenn ihr Verein die Revolution plant, kann man schon mal etwas skeptisch sein. Um künftig finanziell unabhängig zu bleiben, will der FC St. Pauli eine Genossenschaft gründen. Ein cleverer Schachzug. Denn das Geschäftsmodell bietet eine finanzielle Perspektive und es passt vor allem ideal zum Verein.
Die Corona-Zeit ist nicht spurlos an St. Pauli vorbeigegangen. Das mühsam zusammengesparte Eigenkapital schrumpfte schon in der ersten Pandemie-Saison von 14 Millionen auf acht Millionen Euro. Zeitgleich erhöhten sich die Schulden von 17 auf 34 Millionen Euro. Bis dahin waren Eigenkapital und Verbindlichkeiten ausgeglichen, nun ergab ich eine Schieflage, berichtet der stets gut informierte St. Pauli-Blog "Millernton".
St. Pauli schreibt Verlust
Die in den Coronajahren aufgenommenen Darlehen müssen abgezahlt werden. "Was bedeutet, dass wir so um die sechs Millionen Euro Tilgung pro Jahr haben", zitiert die "Mopo" den Finanzchef Wilken Engelbracht. Ende 2023 war es dann klar: Der FC St. Pauli schreibt Verlust. Ein Minus von 4,9 Mio. Euro.
Das Problem: Für den Verein wird es enorm schwer, so an frisches Geld zu kommen. Doch das wird gebraucht. Zum einen für das Stadion, die Rasenheizung muss offenbar erneuert werden. Zum anderen soll das Nachwuchszentrum an der Kollau massiv ausgebaut werden. Bei den Banken gibt es Darlehen nur zu sehr hohen Zinsen oder sogar gar nicht. Eigentlich müsste ein Investor her, der mit einer satten Finanzspritze den Verein fit für die Zukunft macht. Doch das hätte seinen Preis: Aus dem Millerntor würde eine XYZ-Arena werden, die sozialen Projekte, die zur Vereins-DNA gehören, würden abgeklemmt und der Geldgeber würde massiven Einfluss auf die Aktivitäten des Vereins nehmen. Für die Mitglieder ein Horrorszenario, denn die aktive Fan-Szene des Vereins versteht sich als besonders meinungsstark und antikapitalistisch.
Einzigartig im deutschen Fußball
Die Idee, die der Verein nun präsentiert hat, ist einmalig im deutschen Fußball: Statt einen Finanzhai ins Haus zu holen, steigen die Fans, Mitglieder und Sympathisanten beim Verein auch finanziell ein. Dafür werden Genossenschaftsanteile ausgegeben. Ein Anteil soll 750 Euro plus 100 Euro Gebühr kosten, die dann als Rücklage dienen. Wer nicht auf einen Schlag 850 Euro locker machen kann, soll den Anteil in Häppchen zeichnen können. Somit könnte es auch jüngeren Fans ermöglicht werden, Teil der großen Genossenschaftsidee zu werden.
Der Verein würde etwas mehr als die Hälfte der Millerntor-Stadion Betriebs GmbH und Co. KG an die Genossenschaft verkaufen. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich nicht weniger als das Stadion selbst und die Vermietungs- und Vermarktungsrechte. Insgesamt hofft man auf 30 Millionen Euro Einnahmen durch die Genossenschaftsanteile. Die eine Hälfte davon würde für die Tilgung alter Kredite gebraucht. So muss der Verein immer noch 15 Millionen Euro vom Stadionneubau an Krediten zurückzahlen. Der Rest fließt in die geplanten Projekte.
Abseits von Scheich und Oligarchen
Mit der "Football Cooperative St. Pauli" (FCSP eG) beschreitet der Verein absolutes Neuland im Profifußball. Denn das Modell hat einen weiteren Vorteil, der das Finanzprojekt basisdemokratisch und somit St-Pauli-haft macht: Egal, wie viele Anteile man auch kauft, man bekommt nur eine Stimme. So werden künftige Entscheidungen in der Genossenschaft von einer breiten Basis getroffen. Und sogar eine minimale Rendite von kalkulierten zwei Prozent soll für die Anteilszeichner drin sein. Das wird den Fans sicherlich gefallen.
Bei einem Stadtteilverein mit hochaktiver Fanszene ist ein solcher Testlauf wohl richtig angesetzt. Immerhin 20.000 bis 30.000 Menschen müssen mitmachen. Sollte der FC St. Pauli erfolgreich sein, eröffnet er auch anderen Vereinen eine neue Finanzierungsoption. Abseits von Oligarchen, Scheichs, windiger Logistik-Papst oder gar Limonaden-Herstellern.