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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gesamtstaatliche Verteidigung Warum die Arbeitsagentur an einer militärischen Übung teilnimmt

Die Agentur für Arbeit bereitet sich auf die Teilnahme an einer Bundeswehrübung in Hamburg vor. Was steckt dahinter?
Der Krieg ist seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wieder näher gerückt. So mancher dürfte sich schon mal gefragt haben "Was passiert eigentlich, wenn Deutschland angegriffen wird?" Das ist dann nicht nur eine Angelegenheit des Militärs.
Der Ernstfall ist eine gesamtstaatliche, sogar eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dann sind nicht nur Bundeswehr, Feuerwehr, Polizei und THW zuständig. Alle Unternehmen, die in irgendeiner Weise für das Funktionieren von Staat und Gesellschaft relevant sind, sind dann gefragt.
Auch die Agentur für Arbeit übernimmt eine wichtige Rolle: Sie ist im Verteidigungsfall dafür verantwortlich, dass kritische, kriegswichtige Jobs besetzt bleiben oder besetzt werden.
Viele Branchen und alle möglichen Jobs sind betroffen
Die Liste der betroffenen Branchen ist lang: Etwa Wasserwerke, Energieversorger, Abfallunternehmen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, aber auch Mineralölunternehmen und Verkehrsbetriebe, Transportunternehmen, Nachrichtenmedien und Telefonanbieter gehören dazu.
Betroffen sind alle möglichen Jobs: Netztechniker, Wassermeister, Bäcker, Metzger, Logistiker, IT-Systemadministrator, Lokführer, Lehrer, Busfahrer, Fluglotsen, Pflegekräfte, Ärzte, Rettungssanitäter, Apotheker, Labormitarbeiter, Müllwerker, Verwaltungsbeamte, Redakteure, Techniker bei der Rundfunkübertragung und viele andere.
Ein Gesetz aus grauer Vorzeit mit neuer Relevanz
Geregelt ist die Vorgehensweise der Agentur für Arbeit im Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG). Das gibt es seit 1968, kam aber noch nie zur Anwendung. Es gilt nur im Spannungs- und Verteidigungsfall. Damit es greift, muss der Bundestag diesen Ernstfall mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen. Das Gesetz wurde im Frühjahr 2025 noch von der Scholz-Regierung überarbeitet.
Die Agentur für Arbeit übernimmt auf Grundlage des Gesetzes mehrere Aufgaben: Sie erfasst und koordiniert den Personalbedarf für "lebens- und verteidigungswichtige Aufgaben" und vermittelt gezielt Arbeitskräfte auf Anforderung der Betriebe.
Ein scharfes Schwert mit zwei Schneiden
Arbeitnehmer können demnach davon abgehalten werden, ihren Job zu kündigen oder sie können dazu verpflichtet werden, einen anderen, relevanteren Job zu übernehmen, erklärt der Geschäftsführer operativ bei der Bundesagentur für Arbeit in Hamburg, Reinhold Wellen.
Der Friseur, der einen Lkw-Führerschein besitzt, könnte abberufen werden, um als Lastwagenfahrer die Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen. Wellen betont, dass das Gesetz zunächst auf Freiwilligkeit setzt. Wie Sanktionen aussehen würden, wenn jemand den Dienst verweigert und eine zugewiesene Stelle nicht antritt, ist unklar.

"Red Storm Bravo"
Ende September 2025 wird das Manöver "Red Storm Bravo" abgehalten: Rund 500 Soldaten, zivile Einsatzkräfte und Angestellte proben gemeinsam den Verteidigungsfall in der Hansestadt. An der Übung nehmen unter anderem Polizei, Feuerwehr, THW, Arbeitsagentur, Airbus, Blohm+Voss und die Hamburg Port Authority teil. Gepanzerte Fahrzeuge, Lkw und Hubschrauber sind eingeplant. Die Vorgängerübung im September 2024 hieß "Red Storm Alpha".
Aber warum nimmt die Arbeitsagentur an einer Militärübung teil?
Ende September wird die Agentur sogar an einem Manöver teilnehmen. Die Übung heißt "Red Storm Bravo" (siehe Infobox) und wird vom Landeskommando der Bundeswehr geführt. Wellen sagt, dabei sollen interne Prozesse gecheckt und Abläufe geprüft werden. Auch gehe es darum, ungeklärte Detailfragen überhaupt erst zu entdecken.
Laut Wellen sind insgesamt etwa 75 Beschäftigte der Agentur für Arbeit in Hamburg für die Teilnahme eingeplant. "Wir werden keine echten Firmen, keine echten Arbeitnehmer kontaktieren," erklärt er. Die Angestellten der Agentur werden nicht in Bundeswehrfahrzeugen durch die Stadt rollen.
Im Frieden schon wissen, wen man im Ernstfall anrufen muss
Oberstleutnant Jörn Plischke, Chef des Stabes des Landeskommandos der Bundeswehr in Hamburg, sagt zu der Übung: "Sie dient vor allen Dingen der Vernetzung." Es gehe darum, dass sich Militär, Blaulichtorganisationen, Wirtschaftsunternehmen und Behörden kennenlernten "und man schon im Frieden weiß, wen man anrufen soll, wenn es denn düster wird."
Und der Oberstleutnant weiter: Weil das Thema Arbeitssicherstellungsgesetz so aktuell sei und Herr Wellen Interesse an einer Teilnahme signalisiert habe, hätten die Bundeswehr und andere Partner der Übung beschlossen, die Bundesagentur für Arbeit einzubeziehen.
- facebook.com: "Bundeswehr Hamburg – Beitrag zur Truppenübung"
- linkedin.com: "Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG) – LinkedIn-Beitrag von Reinhold Wellen"
- gesetze-im-internet.de: "Gesetz über die Sicherstellung von Leistungen für die Verteidigung (Arbeitssicherstellungsgesetz - ASG)"
- Interviews mit zitierten Personen
- Eigene Recherche