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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rassismus am Gleis? Maskenkontrolle am Hauptbahnhof eskaliert
Eine junge Frau ist in einer Hamburger S-Bahn überprüft worden, weil sie keine Maske getragen hat. So weit, so in Ordnung. Doch als die 24-jährige schwarze Frau aussteigen will, gerät die Situation außer Kontrolle. Zeugen sprechen von Rassismus.
Eine Maskenkontrolle in einer Hamburger S-Bahn ist offenbar aus dem Ruder gelaufen. Das zeigen Videoaufnahmen, die t-online vorliegen. Darauf zu sehen: Eine Frau, die am Hauptbahnhof von mehreren Bundespolizisten zu Boden gedrückt wird. Davor stehen mehrere Mitarbeiter der DB Sicherheit, die den Einsatz abschirmen. Eine aufregte Menschenmenge verfolgt den Vorfall.
Unter den Beobachtern sind auch Sebastian Kühltau und eine Freundin. Sie haben eines der Videos gemacht, die seit Dienstagnachmittag in den sozialen Medien verbreitet werden. Beide waren bereits in der S-Bahn mit dabei, bevor die Situation eskalierte.
Hamburg: Frau steigt ohne Maske in S-Bahn
Eine 24-jährige schwarze Frau sei am Dienstagnachmittag mit dem Telefon am Ohr und der Maske in der Hand in die S31 in Richtung Hauptbahnhof eingestiegen, berichtet Kühltau im Gespräch mit t-online. Daraufhin sei sie vom Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn (DB) angesprochen worden. "Sie sagte den Kontrolleuren, dass sie vergessen habe, ihre Maske aufzusetzen und setzte diese umgehend auf. Außerdem entschuldigte sie sich", erzählt der junge Mann.
Dennoch hätten die Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts nicht lockergelassen und weiter auf sie eingeredet. Danach sei es zu "Krawall" gekommen. "Am Hauptbahnhof kamen noch mehr Kontrolleure in die Bahn und haben sie gegriffen", so Kühltau. Außerdem habe eine Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes eine "rassistische Bemerkung" gemacht. "Geh dahin, wo du herkommst", soll sie laut Kühltau gesagt haben.
Hamburg Hauptbahnhof: Sicherheitsdienst hält junge Frau auf
In der Pressemitteilung der Bundespolizei vom Mittwochnachmittag liest sich das so: Gegen 15.15 Uhr hätten Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der DB zwischen den Haltestellen Sternschanze und Dammtor einen weiblichen Fahrgast ohne vorgeschriebene Mund-Nasen-Bedeckung festgestellt.
Da sich die Reisende gegenüber dem Prüfdienst der Bahn nicht ausweisen haben wolle, sei die Bundespolizei über den Vorfall in Kenntnis gesetzt worden. "Als die Beamten zum Zwecke der Identitätsfeststellung den Einsatzort erreichten, trafen sie auf einen Mitarbeiter des Prüfdienstes, der die Frau daran hinderte, sich über die Rolltreppe vom Einsatzort zu entfernen", sagt Bundespolizeisprecher Thomas Hippler laut Mitteilung.
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Wie genau dieses "Hindern" ausgesehen hat, dazu kann Hippler auf Nachfrage von t-online keine Angaben machen. "Da muss man die laufenden Ermittlungen abwarten, wie zum Beispiel Zeugenbefragungen", so der Sprecher.
Frau soll Fluchtversuch unternommen haben
Im weiteren Verlauf habe die "Festgehaltene, eine 24-jährige deutsche Staatsangehörige", so der Wortlaut in der Pressemitteilung, zu flüchten versucht. Daraufhin sei sie von einer Bundespolizistin und einem Bundespolizisten an der Schulter festgehalten worden.
Anschließend habe die Frau den Bundespolizisten gegen die Brust gestoßen und sich am Geländer eines Treppenaufgangs festgehalten, heißt es. Und weiter: "Der Grund der Maßnahme, nämlich die Feststellung der Identität für den Prüfdienst der Bahn, war der Frau zu diesem Zeitpunkt bereits mitgeteilt worden." Durch einen weiteren Bundespolizisten sei ihr Griff am Treppengeländer gelöst worden.
Danach kommt es zu den Szenen, die im Video zu sehen sind. "In diesem Moment riss sich die 24-Jährige los und versuchte erneut, gewaltsam auf die Beamten einzuwirken, woraufhin sie durch diese kontrolliert zu Boden gebracht wurde. Auch hierbei setzte sich die Frau massiv zur Wehr, weswegen ihr Handfesseln angelegt wurden", heißt es in der Pressemitteilung der Polizei.
Zeuge erinnert Vorfall an Tragödie um Amerikaner George Floyd
Sebastian Kühltau beschreibt das so: "Das war schockierend zu sehen. Es gab auch einen Zeitpunkt, da hatte der Polizist sein Schienbein genau auf dem Hals der Frau." Das habe bei ihm Erinnerungen an den US-Amerikaner George Floyd geweckt. Der Mann war im Mai 2020 bei einer Kontrolle von einem Polizisten getötet worden, was weltweite Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst hatte. Die Menschenmenge im S-Bahnhof, die das Geschehen beobachtete, hat geschrien, berichtet Kühltau.
Zu diesen Vorwürfen sagt Polizeisprecher Hippler: "Unsere Kolleginnen und Kollegen sind besonders geschult, was diese sogenannten Eingriffsmaßnahmen angeht und natürlich sehr sensibilisiert darauf, dass es nicht zu irgendwelchen Handlungen kommt, durch welche die Gesundheit der betreffenden Personen gefährdet werden könnte." Weitere Angaben könnten erst nach Prüfung der Videoaufzeichnungen auf den Bahnsteigen gemacht werden. "Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist uns nichts in diese Richtung bekannt."
Außerdem spricht auch die Polizei von "zahlreichen Schaulustigen auf dem Bahnsteig", die unter anderem durch laute Rufe versucht hätten, den Einsatz der Bundespolizisten zu stören. Aus diesem Grund hätten weitere Einsatzkräfte die polizeilichen Maßnahmen absichern müssen.
Bundespolizei verteidigt Vorgehen als "verhältnismäßig"
Laut Polizei sei die Frau anschließend zum Revier am Hauptbahnhof gebracht worden, wo ihre Identität durch den Personalausweis festgestellt wurde. Einen freiwilligen Atemalkoholtest habe sie abgelehnt, ebenso eine Untersuchung durch einen Arzt. Anschließend sei die 24-Jährige wieder auf freien Fuß gesetzt worden.
"Gegen sie wurden Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Widerstands und tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte, eingeleitet", sagt Hippler. Eine Vernehmung der Frau soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.
Die polizeilichen Maßnahmen am Hauptbahnhof gegenüber der Frau seien standardisiert gewesen und "waren aus strafprozessualer Sicht erforderlich und verhältnismäßig, eine Gefahr für die Person bestand nicht", so der Sprecher. Zu den Vorfällen in der S-Bahn kann er hingegen keine Angaben machen, da sich diese vor dem Eintreffen der Bundespolizisten zugetragen hätten.
Deutsche Bahn will Vorfall genau prüfen
Dazu sagt eine Bahn-Sprecherin auf Anfrage von t-online: "Der Vorfall am Hauptbahnhof macht uns betroffen. Wir nehmen ihn sehr ernst und werden ihn daher genau prüfen."
Sie versichert, dass kulturelle Vielfalt, Offenheit, Toleranz und Respekt Grundwerte der Deutschen Bahn seien. "Rassismus, Diskriminierung, Mobbing oder sexuelle Belästigung haben bei uns keinen Platz – weder gegenüber unseren Fahrgästen noch gegenüber unseren Mitarbeitenden."
Für Kühltau sei das Ereignis "traumatisch" gewesen, sagt er und äußert Kritik am Vorgehen der Bundespolizei. "Wir haben so lange für 'Black Lives Matter' demonstriert und trotzdem gibt es noch solche Vorfälle", sagt er.
- Video des Vorfalls
- Gespräch mit Sebastian Kühltau, Zeuge
- Anfrage bei Pressesprecher der Bundespolizei Hamburg
- Anfrage bei der Deutschen Bahn