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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hamburgs Bürgermeister vor der Wahl Sind Sie ein Langweiler, Herr Tschentscher?
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Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher setzt im Wahlkampf auf Fakten statt Polemik. Die Opposition wirft ihm Selbstzufriedenheit vor. t-online traf den SPD-Politiker zum Interview.
Für laute, emotionale Töne ist Peter Tschentscher nicht bekannt. Der SPD-Mann, seit sieben Jahren Hamburgs Erster Bürgermeister, gilt als unaufgeregt und besonnen. Er setzt auf Entwicklung und Stabilität.
Im Interview mit t-online spricht Peter Tschentscher über seine Bilanz der vergangenen Jahre und seine Strategie für die bevorstehende Wahl. Er äußert sich über Erfolge und Misserfolge seiner Regierung in den Bereichen Wohnungsbau, Bildung und zur Sicherheitslage in Hamburg. Außerdem geht es um einen vergessenen Stadtteil und das Verhalten der Opposition.
t-online: Herr Tschentscher, Sie sind nun seit 2018 Erster Bürgermeister. Die "Süddeutsche Zeitung" hat Sie damals als "beneidenswert unaufgeregt" bezeichnet. Das klingt wie eine nettere Formulierung für langweilig. Sind Sie ein Langweiler?
Peter Tschentscher: Unaufgeregt gefällt mir gut. Aufregung haben wir in der Politik viel zu oft. Probleme werden meist kurzfristig und laut debattiert, aber gar nicht ernsthaft bearbeitet und dann schnell wieder abgehakt. Damit kommen selbst wichtige Themen gar nicht voran.
Meinen Sie, dass Sie wegen dieser unaufgeregten, faktenbasierten Art als klarer Favorit in die finale Wahlkampfphase gehen?
Vielleicht schon. Die Opposition zeichnet oft sehr negative Bilder und beschwört den angeblichen Abstieg der Stadt. Doch die Menschen haben eigene Erfahrungen und einen klaren Blick auf die Dinge. Hamburg ist Vorbild im sozialen Wohnungsbau, wir haben in der Kindertagesbetreuung und in der Schulbildung vieles erreicht – und das wird anerkannt. Mit dem stetigen, klaren Kurs der Regierungsarbeit der letzten Jahre sehen die Bürgerinnen und Bürger: In Hamburg laufen die Dinge besser als anderswo.
CDU-Konkurrent Dennis Thering legt Ihnen das als Selbstzufriedenheit aus.
Was soll er anderes sagen? Die Erfolge unserer Arbeit liegen auf der Hand. Die Bilanz, die CDU und Grüne 2010 hinterlassen haben, war verheerend: jährlich eine Milliarde Euro neue Schulden im Haushalt, das HSH Nordbank-Desaster, die höchsten Kita-Gebühren aller Zeiten, marode Schulen und Straßen mit tiefen Schlaglöchern. Wir haben diese Probleme über Jahre aufgearbeitet, den Haushalt saniert, den Wohnungsbau wieder angekurbelt und uns um wichtige Zukunftsthemen gekümmert.
Hamburg ist heute ein anerkannter Wissenschafts- und Forschungsstandort mit einer Exzellenz-Universität. Es gibt eine dynamische Startup- und Innovationsszene und wir haben eine Klimaschutzstrategie, mit der die CO2-Emissionen in großen Schritten verringert werden.
Stört Sie so ein Vorwurf der Selbstzufriedenheit?
Nein, denn er stimmt nicht. Hamburg hat tatsächlich viel erreicht und wir können auch stolz darauf sein. Doch wir haben noch viel vor und setzen uns weiterhin ambitionierte Ziele. Die Opposition kritisiert lautstark, beschreibt aber keine konkrete politische Alternativen und ist unberechenbar.
Können Sie da ein Beispiel nennen?
Die CDU will angeblich die Wirtschaft stärken und den Wohnungsbau voranbringen. Zugleich stimmt sie gegen die Ausweisung neuer Gewerbegebiete und versucht, große Wohnungsbauprojekte wie den neuen Stadtteil Oberbillwerder zu blockieren. Zuletzt hat sie sogar eine Volksinitiative unterstützt, die grüner war als die Grünen selbst und die jede größere Gewerbe- und Wohnungsbauentwicklung in Hamburg verhindert hätte. Das ist alles sehr widersprüchlich und nicht glaubwürdig.
Wenn Sie auf die vergangenen fünf Jahre blicken: Was sind die zwei größten Erfolge von Rot-Grün?
Die Bildungspolitik und der Wohnungsbau. In Hamburg lernen die Schülerinnen und Schüler im bundesweiten Vergleich immer besser. Sie bekommen gute Schulabschlüsse und sind erfolgreicher beim Übergang von der Schule in den Beruf. Während Hamburg in den Bildungsstudien früher immer auf den letzten Plätzen lag, erreichen unsere Schülerinnen und Schüler jetzt das obere Mittelfeld oder sogar die Spitzengruppe unter allen Bundesländern. Bei der Zufriedenheit der Eltern mit dem Schulsystem liegt Hamburg auf dem zweitbesten Platz.
Im Wohnungsbau haben wir unser ursprüngliches Ziel von 6.000 neuen Wohnungen pro Jahr weit übertroffen und in vielen Jahren sogar mehr als 10.000 Baugenehmigungen erreicht. 100.000 neue Wohnungen wurden seit 2011 fertiggestellt, davon 11.000 neue Wohnungen von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA. Wir sind damit noch nicht am Ziel, aber es ist schon ein großer Fortschritt, der sich auch in der Mietentwicklung zeigt. In den letzten zehn Jahren war der Anstieg der Mieten in Hamburg geringer als in allen anderen westdeutschen Großstädten. Es ist für Menschen mit geringem Einkommen immer noch schwer, eine geeignete Wohnung zu finden, aber wir sind auf dem richtigen Weg und müssen unseren Kurs in der Wohnungspolitik konsequent fortführen.
Und wo sagen Sie: Da hätten Sie mehr erreichen können?
Wir brauchen noch größere Anstrengungen in der Gesundheitspolitik – in Hamburg und ganz Deutschland. Im Gesundheitswesen gibt es an vielen Stellen Engpässe, einen Mangel an Personal, Ressourcen und modernen Konzepten. Die Brisanz des Themas wird bundesweit unterschätzt und bekommt bisher nicht die nötige Aufmerksamkeit in der Politik.
Wir haben in Hamburg bereits begonnen, gegenzusteuern. Die Ausbildung in den Gesundheitsberufen wurde verstärkt, wir führen neue Versorgungsformen ein und investieren massiv in die Krankenhäuser. Doch es liegt noch viel Arbeit vor uns. Ich habe mir vorgenommen, das Thema stärker in die Bundespolitik einzubringen. Die Bevölkerung wird älter. Die Menschen wünschen sich, möglichst lange gesund zu bleiben, und erwarten eine gute medizinische Versorgung und Pflege, wenn sie Hilfe benötigen.
Hamburg hat zuletzt 13 Pflegeheime zurückgekauft. Ist das Teil der Gesundheitsstrategie?
Ja, das ist ein Teil der Strategie. Der frühere CDU-Senat hat das damalige städtische Unternehmen "Pflegen und Wohnen" privatisiert. Wir hatten jetzt die Chance, das Unternehmen zu einem angemessenen Preis zurückzukaufen. Das haben wir getan, um den Bestand der rund 2.500 stationären Pflegeplätze zu sichern und als Stadt in diesem wichtigen Bereich der Daseinsvorsorge wieder selbst handlungsfähig zu werden.
Wir beschreiben nicht nur das Problem, sondern handeln auch und kooperieren dabei mit den privatwirtschaftlichen Akteuren. Mit anderen Worten: Wir übernehmen Verantwortung für die Daseinsvorsorge, nicht nur bei der Wasserversorgung, den Energienetzen und im sozialen Wohnungsbau, sondern auch im Gesundheitswesen und bei der Pflege.
Sie haben den Wohnungsbau als großen Erfolg dargestellt. Trotzdem fehlen noch Zehntausende Wohnungen in Hamburg und viele Menschen mit wenig Geld finden nichts.
In die bereits erwähnten 100.000 neuen Wohnungen konnten rund 200.000 Menschen einziehen. Viele haben damit schon eine neue Wohnung erhalten, aber eben noch nicht alle. Deshalb kümmern wir uns weiter intensiv um den Wohnungsbau und setzen dabei auch neue Instrumente ein. Mit besseren Förderprogrammen der Investitions- und Förderbank zum Beispiel, die zu einer größeren Zahl von Sozialwohnungen mit einer längeren Belegungsbindung führen. Im vergangenen Jahr wurden in Hamburg über 3.000 neue Sozialwohnungen bewilligt – das ist ein Spitzenwert in Deutschland.
In den kommenden Jahren schaffen wir noch gezielter Wohnraum für Personen, die es besonders schwer haben auf dem Wohnungsmarkt: mit 3.000 neuen Wohnheimplätzen für Studierende, 3.000 für Auszubildende und mit speziellen Wohnangeboten für Seniorinnen und Senioren in allen Bezirken. Das alles entlastet den Wohnungsmarkt insgesamt und hilft besonders denen, die es immer noch sehr schwer haben, eine passende, bezahlbare Wohnung zu finden.
Gibt es eine konkrete Maßnahme, die Hamburg schnell umsetzen kann?
Ja, wir bauen gezielt auf Flächen der Stadt oder öffentlicher Unternehmen. Zum Beispiel Auszubildendenwohnheime auf Flächen von Berufsschulen oder zusätzliche Wohnungen auf Flächen der SAGA, die noch besser ausgenutzt werden können. Generell müssen wir kreativer mit den Flächen der Stadt umgehen.
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Wir bauen zum Beispiel Kitas auf Schulgrundstücken, weil sich die Nutzungen ergänzen. Das spart Platz, ermöglicht mehr Wohnungsbau an anderer Stelle und wird von Schulen wie Kitas gleichermaßen positiv aufgenommen.
In St. Georg hat sich eine Bürgerinitiative gebildet: Die Gründer werfen der Politik vor, dass beim Thema Kriminalität und Drogen vieles verschlafen wurde.
Nein, wir gehen aktiv dagegen vor. Wie in anderen großen Städten zeigen sich die Folgen von Obdachlosigkeit und Drogensucht besonders in den Zentren und im Umfeld der Bahnhöfe. Wir setzen dabei auf eine Doppelstrategie: starke Präsenz von Polizei und Ordnungskräften, aber auch gezielte Hilfsangebote wie das "Drob-Inn". Die gute Drogen- und Obdachlosenhilfe zieht dann allerdings auch Betroffene aus anderen Regionen Deutschlands an.
Die Obdachlosen kommen vor allem aus osteuropäischen Ländern, die nach den Regeln der EU-Freizügigkeit nach Hamburg kommen, aber dann doch keine Arbeit finden und keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Sie sind daher verpflichtet, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, was wir als Stadt unterstützen und auch durchsetzen. Die Hauptbahnhöfe sind in Großstädten immer kritische Bereiche. Wir tun alles, um die Sauberkeit und Sicherheit am Hauptbahnhof sicherzustellen und die angrenzenden Stadtteile zu schützen.
Sie nennen viele Ansätze und Erfolge. Das Sicherheitsgefühl nimmt bei vielen Menschen trotzdem eher ab, das füttert auch rechte Parteien – was sagen Sie diesen Menschen?
Es fördert auch nicht das Sicherheitsgefühl, wenn man falsche Zahlen in die Welt setzt. Die Kriminalitätszahlen sind heute viel niedriger als vor 10 oder 20 Jahren. Wir haben die Polizei in den letzten Jahren systematisch verstärkt und besser ausgestattet. Unsere Maßnahmen sind richtig und zeigen Wirkung: Die Zahl der Straftaten ist im letzten Jahr um rund 4 Prozent gesunken, am Hauptbahnhof sogar um 25 Prozent. Besonders die schweren Straftaten haben im vergangenen Jahr deutlich abgenommen.
Viele Taten in St. Georg erfolgen zudem innerhalb der Szene und betreffen nicht die normale Bevölkerung. Dennoch reagieren wir konsequent mit Videoüberwachung, mit Alkohol-, Messer- und Waffenverbot. Das in Hamburg entwickelte Konzept der Quattrostreifen am Hauptbahnhof ist so erfolgreich, dass es jetzt auch von anderen Städten in Deutschland übernommen wird.
Wir haben bereits über St. Georg gesprochen, doch es gibt noch mehr Brennpunkte – wie das Phönix-Viertel in Harburg. Dort fühlen sich viele Menschen abgehängt und gar nicht mehr zu Hamburg zugehörig.
Auch in Harburg kümmern wir uns sehr um die Aufwertung der Innenstadt, um die Sicherheit und Lebensqualität im öffentlichen Raum. Deshalb gab es in den letzten Jahren besonders viele städtische Investitionen im Bezirk Harburg, bei der Technischen Universität, in den Binnenhafen und neue Wohnquartiere, ein neues Rathausforum und viele weitere Projekte. Dazu haben wir als Stadt zuletzt sogar in großem Umfang Immobilien und ganze Areale gekauft. Dadurch erhalten wir mehr Gestaltungsmöglichkeiten und können als Grundeigentümer besser Einfluss auf die Entwicklung des Einzelhandels und die Gestaltung der Quartiere nehmen.
Das sollte aber nicht allein vom Senat, sondern gemeinsam mit dem Bezirk und den Bürgerinnen und Bürgern in Harburg erfolgen. Diese Entscheidungen ändern die Lage nicht von einem Tag auf den anderen, aber mittel- und langfristig sind sie eine sehr gute Perspektive für Harburg.
Alle gehen davon aus, dass die SPD die Bürgerschaftswahl gewinnt und Rot-Grün weiterregiert. Wie langweilig ist so ein Wahlkampf?
Langweilig ist es auf keinen Fall. Und auch wenn ich als Bürgermeister in den Umfragen und in persönlichen Gesprächen viel Zuspruch erhalte – am Ende zählen die Stimmen in der Wahlurne. Der Hamburger Bürgermeister wird nicht direkt gewählt, sondern wie ein Ministerpräsident vom Parlament.
Wenn Grüne und CDU zusammen eine Mehrheit bekommen, würden sie auch eine Koalition bilden und dann Herrn Thering oder Frau Fegebank zum Bürgermeister oder zur Bürgermeisterin wählen. Deshalb sage ich, wer dafür ist, dass ich Bürgermeister bleibe, sollte unbedingt SPD wählen.
Herr Tschentscher, vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Peter Tschentscher