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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Leere Strände, geschlossene Gastro Corona-Ausbruch auf Sylt: Wie normal ist die Insel noch?
Nach einem Corona-Ausbruch auf Sylt und explodierenden Infektionszahlen auf der Insel haben viele Hotel- und Gastronomiebetriebe geschlossen. Ein Tagesbesuch zeigt: Die Insel ruht. Doch von einer Geisterinsel will hier kaum einer sprechen.
Es ist ein kalter Wintermorgen auf Sylt. Die Straßen in Westerland sind noch leer. Zwei Mitarbeiter eines Schreibwarengeschäfts schieben die Aussteller mit Postkarten und Zeitungen aus dem Laden nach draußen. Auf der Titelseite einer Hamburger Lokalzeitung steht "Wegen Omikron: Restaurants im Winterschlaf". Auch die Nordseeinsel hat in den vergangenen Tagen Schlagzeilen mit ihrem "Teil-Lockdown" gemacht. Eine Verkäuferin des Schreibwarengeschäfts kann das nicht nachvollziehen. "Nach Weihnachten und Silvester ist es hier immer etwas ruhiger, das hat nichts mit einem Lockdown zu tun", sagt sie.
Das berühmte Hotel "Stadt Hamburg" in Westerland liegt direkt neben dem Schreibwarengeschäft. Das Hotel hat bis auf Weiteres geschlossen, wie an der Tür des Bistros zu lesen ist. Es war eines der ersten Hotels der 18.000-Einwohner-Insel, das wegen der aktuellen Lage und infizierter Mitarbeiter schließen musste. Sprechen will vor Ort an diesem Tag niemand mit uns. Aber die Betreiber hoffen offenbar, Ende Januar wieder öffnen zu können. Zumindest kann man ab dem 23. Januar wieder Übernachtungen dort buchen. Viele weitere touristische Betriebe auf Sylt haben derzeit vorübergehend geschlossen – einige wegen Corona unter den Mitarbeitenden, andere wegen Urlaubs.
Sylt im Corona-Januar: "Momentan nicht viel los"
Ein Mitarbeiter des Restaurants "Kompass" verteilt Felle auf den Stühlen des Außenbereichs. Der Betrieb ist geöffnet – man hoffe, dass das so bleibt und es keinen Coronafall im Personal geben wird. "Hier sind jetzt fast alle geboostert', sagt er. Aber wegen des schlechten Wetters, der geschlossenen Hotels und der Jahreszeit sei "momentan nicht viel los".
Am Strand in Westerland, wo sich im Sommer Hunderte Menschen tummeln, weht ein eisiger Wind. Sechs Grad Celsius zeigt eine Anzeige an der Promenade. Vereinzelte Spaziergänger sieht man entlang des Strandes, die Mützen tief ins Gesicht gezogen. Das Tosen der Wellen ist an diesem grauen Tag wenig einladend.
In Westerland selbst herrscht winterliche Stimmung. In der Fußgängerzone gehen einzelne Menschen einkaufen. Restaurants sind mit Lichterketten dekoriert. Immer wieder kreuzen Busse, Taxis und Fahrschüler die Fußgängerzone. Gegen Mittag füllen sich hier die Außenbereiche der Restaurants. Mit Winterjacke und Schal sitzen die Menschen dort und trinken Kaffee, Tee oder Bier. Eine Drogerie verkauft Tassen und Metallschilder als Souvenirs. Am Rathaus ist ein Corona-Testzentrum eingerichtet. Am Bahnhof in Westerland gibt es gleich zwei davon.
Die Pandemie scheinen viele hier sehr ernst zu nehmen. Nicht zuletzt, weil sie vom Tourismus leben, der stark durch Corona beeinflusst wird. So kontrolliert ein kleiner Computer beim Betreten einer Bäckerei in Westerland die Körpertemperatur der Kunden.
Für Gaststätten gilt seit Mittwoch gemäß der Landesverordnung von Schleswig-Holstein 2G-plus. Für den Einzelhandel gilt mit Ausnahmen die 2G-Regelung. An nahezu jeder Tür sind die geltenden Regeln ausgehängt. Gaststätten müssen zwischen 23 und 5 Uhr schließen. Diskotheken und ähnliche Betriebe müssen seit dem 12. Januar in Schleswig-Holstein ganz geschlossen bleiben.
Taxifahrer: "Leben hauptsächlich von den Touristen"
Das bekommt auch ein Taxifahrer zu spüren, wie er im Gespräch mit t-online sagt. Bisher sei er von den hohen Coronazahlen wenig betroffen gewesen. "Aber jetzt, wo die Gaststätten um 23 Uhr schließen müssen, wird abends weniger los sein", sagt er. Seit 2012 fährt auf der Insel Taxi und hat davor schon unzählige Jahre im Taxi rund um Hamburg verbracht.
"Wir müssen hier auf Sylt im Sommer so viel reinfahren, dass wir über den Winter kommen. Wir leben schon hauptsächlich von den Touristen". Da spüre man Corona und die vergangen Lockdowns dann schon finanziell. Die Touristen kämen nicht mehr so häufig für kurze Zeit und hätten häufiger selbst ein Auto dabei, sagt er. Im Januar sei aber immer wenig los. "Das geht dann mit dem Biikebrennen (traditionelles nordfriesisches Volksfest, Anm. d. Red.) im Februar wieder los".
Weihnachtsfeier als Superspreader-Event
Kurz vor dem Jahreswechsel stieg auf Sylt die Zahl der Coronafälle stark an. Nach Meldung des Landkreises befanden sich demnach am 11. Januar auf der Insel 480 Personen mit einer Covid-19 Erkrankung in Isolation. Weitere 617 Kontaktpersonen befanden sich in Quarantäne. Am Mittwoch musste die Kindertagesstätte in Westerland schließen, nachdem ein Kind und eine Mitarbeiterin positiv getestet wurden.
Die hohen Fallzahlen und starke Ausbreitung der Corona-Infektionen liegen auch an der Omikron-Variante, die in Schleswig-Holstein seit rund zwei Wochen vorherrschend ist. Das Gesundheitsamt in Nordfriesland führt aufgrund der schnellen Ausbreitung die Kontaktverfolgung nun per SMS durch.
Laut verschiedenen Medienberichten geht die hohe Zahl der Infektionen auf eine Weihnachtsfeier im Club "Rotes Kliff" im Sylter Ort Kampen zurück. Gegen bis zu drei Besucher der Party ermittelt jetzt die Polizei wegen des Verdachts auf gefälschte Impfpässe.
Die Treppe zum "Roten Kliff" ist an diesem Donnerstag mit einer Holzklappe verschlossen. Mitarbeiter sucht man hier vergebens. Auch das Restaurant Dorfkrug, das direkt daneben liegt, hat "aufgrund der besorgniserregenden Zahlen" auf der Insel vorerst geschlossen. Im Wintergarten des weißen Reetdach-Hauses liegt noch ein aufgepusteter goldene Ballon in der Form einer Zwei, vermutlich die Überreste einer Silvesterfeier. Drei Passanten bleiben kurz stehen, um die Ankündigungen am Eingang des Dorfkrugs anzuschauen.
Auch im Rest des Ortes ist es ruhig: Sylt ist ein Urlaubsort außerhalb der Urlaubszeit. Dennoch gibt es wohl viel zu tun: Autos von Handwerkern, Gärtnereien und Tourismusbetrieben fahren durch den Ort. Der Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH empfindet den Corona-Ausbruch nicht als verheerend für die Insel. "Wir können hier ein ganz normales Leben sowohl für Einheimische als auch für Gäste weiterhin aufrechterhalten", sagt Moritz Luft am Telefon. "Das heißt von einem selbst auferlegten Lockdown, wie in den Medien berichtet wird, sind wir hier weit, weit weg."
Vermieterin: Lage für uns völlig normal
Luft sieht auf Sylt nur ein "normales Infektionsgeschehen einer hochansteckenden Virus-Variante". Trotz verantwortungsvollen Umgangs könnten Betreiber nicht abschließend nachprüfen, ob Nachweise der Gäste gefälscht seien, sagt er. "Mit der hohen Ansteckung ist es natürlich so, dass einzelne Betriebe oder auch Regionen mal mehr und dann bald vielleicht auch wieder weniger betroffen sind."
Die Vermieterin einer Ferienwohnung aus Morsum, die anonym bleiben möchte, empfindet die aktuelle Lage ebenfalls als "völlig normal". Die Reservierungslage sei in dieser Jahreszeit immer schlechter, viele Läden hätten ohnehin jeden Januar vorübergehend geschlossen. Sie empfinde in ihrem täglichen Leben keine Einschränkungen, von einem Lockdown könne keine Rede sein.
Auch im Rantumer Restaurant Sansibar ist man nicht im Lockdown-Modus: Das Kult-Lokal hat normal geöffnet, abends sind die meisten Tische belegt, wenn auch der große Ansturm derzeit auszubleiben scheint. Nach einem Corona-Ausbruch hatte der Betrieb im November vorübergehend geschlossen, ist aber mittlerweile wieder offen.
Tourismus-Chef Moritz Luft plant derweil schon den Umgang mit den nächsten touristischen Events. Das Biikebrennen werde zum Beispiel in diesem Jahr live übertragen. Absagen solcher Veranstaltungen seien die Insulaner schon gewohnt, sagt er. Und weiter: "Wir verlassen uns hier nicht auf Landes- oder Bundesregierung, sondern schauen selber, was Maßgaben für unsere Ziele sind. Ansonsten würden wir uns ziemlich alleingelassen fühlen."
Die Sylter schauen also nach vorne. Es ist mittlerweile Abend geworden auf der Insel. Der Wind wird eisiger. Die Straßen sind leer. Und sie bleiben es vermutlich auch.
- Corona-Dahboard des RKI
- Beobachtungen und Gespräche auf der Insel Sylt
- Telefonat mit Tourismus-Chef Moritz Luft und Sylter Vermieterin
- Telefonische und Mail-Anfrage Restaurant Sansibar
- Homepage "Rotes Kliff"
- "Sylter Rundschau": "Clubbetreiber Peter Kliem äußert sich zu Omikron-Fällen im Roten Kliff"
- "Redaktionsnetzwerk Deutschland": "'Corona-Hölle' Sylt: Eine Insel wundert sich über die Nachrichten vom Festland"
- "Nordfriesland.de": "Entwicklung der Zahl der Erkrankten"
- "Hamburger Abendblatt":"Corona-Ausbruch nach Party: Auch Bar betroffen"