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Hamburg

Punks auf Sylt | Bürgermeister: "Viele Gäste sagen, sie kommen nicht wieder"


Interview
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Image-Schaden für Sylt durch Punks
"Viele Gäste sagen, sie kommen nicht wieder"

  • Markus Krause, Regio-Redakteur für Hamburg.
InterviewVon Markus Krause

Aktualisiert am 12.11.2022Lesedauer: 8 Min.
Punk in Westerland (Archivbild):Vergrößern des Bildes
Punk in Westerland (Archivbild): Mit dem 9-Euro-Ticket kamen sie nach Sylt. (Quelle: Fabian Bimmer/reuters)

Im Sommer haben Punks ein Protestcamp auf Sylt veranstaltet. Mitte September war der Spuk vorbei. Die Folgen seien jedoch verheerend, sagt der Bürgermeister.

Eine so herausfordernde Zeit wie in diesem Sommer hat Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt, in seiner siebenjährigen Amtszeit noch nicht erlebt. Grund dafür waren Punks, die mithilfe des 9-Euro-Tickets auf die Nordseeinsel gereist und ein Protestcamp aufgebaut hatten.

Im Interview mit t-online blickt Häckel nun auf die vergangenen Monate zurück und spricht darüber, wie die Punks Sylt verändert haben. Auch zum Image der "Insel der Reichen und Schönen" positioniert sich der Bürgermeister klar und verrät, wie er einerseits mehr Lebensqualität für die Einheimischen und andererseits Aufenthaltsqualität für die Touristen schaffen will.

t-online: Herr Häckel, Mitte September sind die Punks endgültig abgereist. Konnten Sie am Abend danach erst mal entspannen?

Nikolas Häckel: Die Zeit war super anstrengend und so etwas wirkt lange nach. Dank der tollen Medienpräsenz war auch wirklich jeder Tag anstrengend. Da kann man nicht gleich abends sagen: Das Thema ist durch. Wenn man mit einer Hundertschaft vor so einem Park steht, sind das auch Emotionen, die nicht gleich abklingen.

Sie sprechen das große mediale Interesse an. Wie groß war die Belastung für Sie persönlich?

Wenn man tagtäglich mit Anfragen von der Presse bombardiert wird und den Druck von draußen sowie den rechtlichen Druck von drinnen hat, dann ist das schon eine sehr skurrile Situation – insbesondere, wenn man gar nicht zuständig ist. Es ging um eine genehmigte Versammlung des Kreises Nordfriesland. Später haben die Gerichte entschieden. Aber das Gesicht vor Ort war ich, ohne eigentlich konkrete Handlungsmöglichkeiten zu haben. Intern rechtlich prüfen, nach außen kommunizieren und das alles zusammenbringen war wirklich eine sehr große Belastung.

War es Ihnen manchmal zu viel?

Zu viel geht eigentlich gar nicht. Aber es war ein Moment, in dem man sich fragt: Wo kommt das eigentlich her? Warum hat das so eine große mediale Präsenz? Wir haben als Insel nie kommuniziert, dass wir Gäste nicht haben wollen. Das ist nie unsere Strategie gewesen. All das kam nur, weil eine große Tageszeitung einen Riesen-Aufmacher bringt und das so eine Welle auslöst. Das war sehr frustrierend.

Warum haben sich die Punks Sylt als Ziel ausgesucht?

Wie ich schon sagte, glaube ich, dass der Bericht dieser Tageszeitung der Anlass war, dass sich eine gewisse Gruppe provoziert fühlte und diese Provokation ausgelebt hat. Und danach wurden wir provoziert.

Hatte die Anwesenheit der Punks auch positive Seiten für Sylt?

Nein. Es war schädlich. Es hat dem Tourismus geschadet. Es hat den Wohnungsbau nicht nach vorne gebracht – obwohl das eines ihrer Themen war. Die Einzelhändler haben riesige Einbußen gehabt. Die Punks haben dem Image von Sylt nachhaltig geschadet. Viele Gäste sagen, sie kommen nicht wieder. Es ist einfach hanebüchen zu sagen, wir bauen hier auf einem Rathausvorplatz Zelte auf und machen damit auf die Wohnungsnot aufmerksam. Das war eine Dauerparty, mehr nicht.

Glauben Sie, dass die Punks im nächsten Jahr wiederkommen werden?

Ich bin jemand, der sich eher an Fakten hält. Die Frage ist, wie bereiten wir uns auf den Fall der Fälle vor. Das ist eigentlich die Herausforderung, vor der wir aktuell stehen. Wir bereiten intern eine Strategie vor, damit so etwas nicht mehr passieren kann.

Während die Punks auf Sylt waren, hat auch Finanzminister Christian Linder hier geheiratet. War das alles zu viel für die Insel?

Auch hier gibt es wieder kein Zuviel. Wir als Standesamt sind verpflichtet, die Trauung vorzunehmen und für mich als Standesbeamter war das ein ganz entspannter Akt, ohne Extra-Hype. Man muss sich jedoch die Frage stellen: War die Entscheidung und die Art der Öffentlichkeitsarbeit klug? Ob so ein Ereignis in Zeiten, in denen wir alle sparen sollen und ein 9-Euro-Ticket auf den Weg gebracht wird, so medial aufgebauscht hätte werden müssen, muss jeder für sich bewerten. Vielleicht hat es Sylt ganz gutgetan, weil es mal wieder eine Promi-Insel war, die ja alle immer in uns sehen, obwohl wir eigentlich Normalos sind, die hier leben. Tatsächlich aber glaube ich, bei der Hochzeit wurde richtig viel Geld verbrannt.

Sie sprechen es gerade an: Sylt, die Insel der Promis, der Reichen und der Schönen. Was ist dran?

Und der Nackten. Wir sind alle reich, schön und nackt (lacht).

Sie scheinen nichts von diesen Klischees zu halten.

Das Image stammt vom Ende der 1960er-Jahre. Wir sind weit darüber hinaus. Wer Sylt kennenlernt, der weiß, dass wir hier eine ganz normale Gesellschaft sind, mit allen Problemen, die es auch in München, Hamburg, Berlin und in Wanne-Eickel gibt. Genauso normal sind wir auch. Nur vielleicht, dass wir teilweise wirklich herausgefordert sind, was unsere finanzielle Situation angeht.

Was meinen Sie damit?

Ich rede von Privatpersonen, die in Zweit- oder Drittjobs arbeiten müssen, um hier auch überleben zu können. Aber auch das kennen wir aus München oder Berlin – große Städte, in denen es Wohnungsnot, steigende Mieten und Ähnliches gibt. Insofern sind wir normale Menschen, wir gehen zum Sport, wir haben Vereinsleben, wir machen alles, was auch anderswo üblich ist. Und wir sind zwar alle schön, aber wir sind sicherlich nicht alle reich und nackt.

Können sich Normalverdiener die Insel noch leisten?

Ja, das sehen wir ja. Wir sind 18.000 Normalos hier auf der Insel. Man kann sich Sylt also offensichtlich leisten.

Wie viele, die hier arbeiten, können sich tatsächlich eine Wohnung auf Sylt leisten?

Da ist zunächst einmal die Frage: Will man sich auf Sylt eine Wohnung leisten? Das wiederum ist verbunden mit der Frage: Will ich das Geld investieren oder möchte ich gern aufs Festland und pendeln? Das ist eine Entscheidung, die man trifft. Die einen machen es freiwillig, die anderen fühlen sich gezwungen. Wir haben einen kommunalen Wohnungsbestand von weit über 1.000 Wohnungen, die wir verwalten. Das sind nicht alles Upper-Class-Wohnungen zu Höchstpreisen.

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Sondern?

Es ist durchgemischt, von Geringverdienern mit Unterstützung durchs Sozialzentrum, Normalos und natürlich haben wir auch Haushälften im gehobenen Segment. Aber primär wollen wir unsere Bevölkerung mit Wohnraum versorgen und das schaffen wir. Viele Privatiers bieten guten und günstigen Wohnraum an – man darf sie nicht verteufeln.

Trotzdem ist immer wieder die Rede davon, dass der Dauerwohnraum auf Sylt knapp ist.

Das ist er auch, natürlich. Aber das ist er eigentlich in jeder Gemeinde. Wir haben das Problem, dass wir uns nicht einfach räumlich erweitern können. Wir sind hier 80 Prozent Naturschutzgebiet. Wir können nicht einfach unsere Bestände mal eben an den Gemeindegrenzen ausbauen, sondern wir müssen uns im Innenbereich bewegen. Und wir alle wollen nicht in Ghettos gepfercht wohnen. Also bekommen wir irgendwann ein Problem. Außerdem bringt eine Wohnung mehr ein, wenn ich an Touristen vermiete statt an Dauermieter. Damit verbunden ist auch die Angst vor Mietnomaden zum Beispiel. Und das ist, das wird immer verschwiegen, eine große Anzahl und das hindert auch einige Menschen dauerhaft zu vermieten.

Was tun Sie konkret, um mehr Dauerwohnraum zu schaffen?

Wir haben die genannten 1.000 Wohnungen im Eigentum. Deswegen haben wir auch ein kommunales Liegenschaftsmanagement, das sich um diesen Bestand kümmert. Die bauen gerade wieder ein ganzes Wohngebiet um und neu. Wir setzen über die Bebauungspläne Dauerwohneinheiten in den Wohngebäuden fest. Wir begrenzen die Gästebetten auf den aktuellen Stand. Wir versuchen von allen verschiedenen Seiten unseren Dauerwohnraum zu erhalten, auch durch verschiedene Satzungen.

Nikolas Häckel: Bürgermeister der Gemeinde Sylt.
Nikolas Häckel: Bürgermeister der Gemeinde Sylt. (Quelle: Aurora Sylt / Georg Supanz)

Nikolas Häckel, 48

Am 30. März 1974 auf der Nordseeinsel geboren. Häckel ist gelernter Verwaltungswirt und im Mai 2015 zum Bürgermeister der Gemeinde Sylt direkt gewählt worden. Im vergangenen Jahr wurde er wiedergewählt. Zuvor war er als Leiter des Bauamtes der Gemeinde Kronshagen und Leiter des Bauverwaltungs- und Planungsamtes der Gemeinde Sylt-Ost/des Amtes Landschaft Sylt tätig.

Wieso versuchen?

Es ist politisch nicht immer einfach, weil es eine große christliche Volkspartei gibt, deren Wählerklientel genau das eben nicht möchte. Die möchten nicht diesen sozialen Charakter, den wir ausbauen wollen. Wir brauchen Dauerwohnraum, während die versuchen herauszufinden, wie man am meisten Geld aus etwas herauspresst. Sylt ist meine Heimat und soll eine lebenswerte Gesellschaft sein – keine Cashcow.

Mit welchen Herausforderungen hat die Insel noch zu kämpfen?

Wir haben viele Herausforderungen, aber die sind auch immer geprägt von den aktuellen Entwicklungen. Die Corona-Zeit war zum Beispiel eine Riesenherausforderung. Jetzt müssen wir als Insel Sylt genauso Flüchtlinge aufnehmen wie jedes andere Dorf im Land. Außerdem müssen wir uns gut aufstellen, was unsere Innenstadt angeht. Dann haben wir Energiekrise, über die jeder spricht. Hinzu kommen das Ehrenamt und die Sicherstellung des Brandschutzes. Wie erreichen wir, dass wir genug Feuerwehrleute haben, die zur Verfügung stehen? Das sind so große Themen, mit denen wir zu kämpfen haben, die ich immer wieder in meinen Reden anspreche.

Herausforderungen sind im Sommer sicherlich auch die zahlreichen Urlauber, die auf die Insel kommen.

Das ist keine Herausforderung, das ist eine Freude. Wir sind gerne und gute Gastgeber.

Manch einer würde dennoch sagen, dass es dann zu voll auf der Insel ist. Hat die Insel Sylt die Grenze ihrer Kapazitäten erreicht?

Meiner Meinung nach schon seit 2018. Da habe ich erstmals das Thema "Overtourism" in den Mund genommen und wurde hier kräftig geprügelt. Jetzt haben viele durch Corona erfahren, dass es wirklich zu viel ist, dass wir auch Freiraum brauchen. Man möchte nicht in einer Herde durch die Fußgängerzone getrieben werden, sondern Aufenthaltsqualität haben. Deswegen wollen wir auch nicht noch mehr Gäste. Wir möchten gerne eine andere Verteilung der Gäste, damit wir gute Gastgeber sein können. Und nur wenn wir als Gastgeber entspannt sind, können wir diese Entspannung an die Gäste weitergeben. Wenn aber alle nur gestresst sind, dann hat keiner etwas davon. Das ist eine wichtige Erkenntnis aus der Corona-Pandemie.

Wie stellen Sie sich eine andere Verteilung der Urlauber vor?

Als ich Kind war, hatten wir noch eine Haupt-, eine Vor- und eine Nachsaison sowie keine Saison. Das waren vier Monate Zeit, um unsere Wohnungen auf Vordermann zu bringen oder selbst Urlaub zu machen. Jetzt sind wir fast schon bei einer ganzjährigen Saison. Ganz besonders viele drängen sich in acht Wochen im Sommer. Das müssen wir anders verteilen und vielleicht auch ein bisschen die Spitzen glätten.

Wie wollen Sie die Urlauber zum Umdenken bewegen?

Über das Angebot. Wenn die Betten voll sind, sind die Betten voll. Man kann natürlich anfangen, im Stadtpark zu zelten, aber das würde ich keinem mehr empfehlen.

Der Hindenburgdamm ist ein Nadelöhr, häufig kommt es zu Verspätungen oder Ausfällen. Ist die Strecke den Anforderungen durch Pendler und Touristen noch gewachsen?

Nein, die Strecke ist vollkommen veraltet. Sie wurde über Jahrzehnte nicht unterhalten und hat einen Riesen-Investitionsstau. Deswegen passiert jetzt auch so viel und deswegen sind wir dankbar über jede Baumaßnahme, auch wenn sie uns wie jetzt im November wieder einige Tage abschottet von Zugverkehr und Lieferketten.

Was ist Ihre persönliche Vision für Sylt? Wie soll es mit der Insel weitergehen?

Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. Sylt muss Heimat sein und darf dann eben auch Tourismus-Destination sein. Wenn jemand von Heimat spricht, dann hat er auch ein anderes Heimatgefühl, eine Verbundenheit, eine andere Verbindung zu seiner Insel. Und deshalb passt dieser Begriff sehr gut. Heimat ist, auch wenn der Begriff vielleicht aus dem Bayerischen heraus ein wenig konservativ geprägt ist, etwas Positives. Wer dieses Gefühl hat, der kann auch ein guter Gastgeber sein.

Ist der Winter eine Zeit zum Durchatmen für die Insel und auch für Sie?

Es war mal eine Zeit des Durchatmens. Ich weiß nicht, ob dieses Jahr Zeit dafür sein wird. Es wird ein bisschen ruhiger sein. Aber dadurch lösen sich unsere Themen, die wir natürlich ganzjährig im Auge haben, nicht auf. Ich habe aber Urlaub im Dezember, das sind dann drei Wochen Ruhe.

Verwendete Quellen
  • Vor-Ort-Interview mit Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt
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